Strukturelle Gewalt und politischer „Stagnatismus“

 

Ein Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion von Karin Luzia Spiegel

Am 25. November wurde mancherorts der „Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“ begangen. Anlass war die Ermordung dreier Bürgerrechtskämpferinnen aus Mittelamerika, die 1960 im Auftrag eines dominikanischen Diktators ermordet wurden.

Hinter solch physischer Gewaltanwendung stand damals und steht heute das Phänomen struktureller Gewalt, auf welches ich in Folge – aufgrund ihrer aktuellen sozial-politischen Präsenz – etwas näher eingehen möchte. Die Praxis der strukturellen Gewalt ist eine Erscheinung, die in unterschiedlichen Systemen spezifische Eigendynamik entwickelt. Der Nachweis struktureller Gewalt ist trotz Vorhandensein oft nicht eindeutig sichtbar und durchzieht alle gesellschaftlichen Schichten und Organisationsformen– auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Konsequenzen.

Sie aufzudecken ist, aufgrund interpsychischer und politischer Vorraussetzungen, ein nicht einfaches, aber nicht unmögliches Unterfangen. Strukturelle Gewalt richtet sich gegen Individuen und Teile der Bevölkerung, die in einem bestimmten Machtverhältnis zu den jeweiligen diese Macht Ausübenden, stehen.

In diesem Zusammenhang spreche ich von Machtmissbrauch. Oft stellt die Ausgangslage, die zu Machtmissbrauch führt, eine gewisse Bedrohung für die „Täter“ dar. Leider wird dies von jenen, dem Machtmissbrauch Unterlegenen, nicht immer wahrgenommen. So entsteht in ihnen ein Gefühl der Ohnmacht, gepaart mit passiver Aggression, die nicht selten gegen sich selbst gerichtet wird. Solange das so ist, wird meist keine wirksame Gegenmaßnahme gesetzt (u.a. Gewalt an Frauen und Kindern). Ein typisches Merkmal in gewaltbereiten Systemen ist die Entsolidarisierung, da Angst ein Hauptmotor ist und meistens die Folge von Gewalt darstellt (z.B. Toleranzphänomen bei allgemeinen und spezifischen Übergriffen und Verletzung der Menschenrechte).

Politischer „Stagnatismus“

In Zeiten politischer Stagnation treten im Zuge wirtschaftlicher und sozialer Vereinheitlichungs- Trends spezifische Abhängigkeiten der ArbeitnehmerInnen von ArbeitgeberInnen auf. Enklaven der Macht treten anstelle diskursiver Praxen zwischen Hierarchien in den Vordergrund. Ähnlich wie in diktatorischen Systemen, die das Individuum und bestimmte Teile der Bevölkerung aus Entscheidungsprozessen ausschließen, entstehen in geschlossenen Gremien sich selbst reproduzierende „Organisationsmodelle“. Daraus wieder resultiert persönlich motivierte Willkür entgegen schöpferischer Gestaltung sozialer Prozesse.

Inwieweit ist Angst ein Instrument, bzw. bedingt ein eventueller Machtverlust einen Konflikt innerhalb der Eigendefinition von „Identität“?
Nicht nur Entsolidarisierung, auch – ich nenne es – „Deindividuation“ ist ein Merkmal von Unterdrückung und führt zu Unterwerfung Einzelner. Was wiederum die Aufrechterhaltung ungleicher Machtstrukturen nach sich zieht. So genannte „Mitläufer“, deren Motivation ebenfalls die Angst, jedoch viel mehr die Vorstellung des persönlichen Verlusts von Prestige etc. ist, sprechen durch ihr Stillschweigen. Hier sei auf Gewalt in Familien hingewiesen – Gewalt wird toleriert. Folgende allgemein beschriebene Formen möchte ich hier unterscheiden: personale, strukturelle und kulturelle Gewalt. Die personale Gewalt teilt sich in physische (u.a. Körperverletzung, Freiheitsberaubung) und psychische (u.a. Rollenzuweisung, stigmatisierende Diskurse) Gewalt und wird u.a. durch „Opfer“ /„Täter“ – Gegensätze erlebt. Strukturelle Gewalt zeichnet sich durch Machtmissverhältnisse in gesellschaftlichen Systemen aus. Unter kultureller Gewalt beschreibe ich u.a. die ideologische Legitimation struktureller oder direkter Gewalt (z.B.: Diktatorische Systeme, Antisemitismus, Rassismus). Schlussendlich sei auch noch Gewalt in und durch die Medien erwähnt, die einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Systemimmanenz liefern („die vierte Gewalt“). Erst wenn Machtmissbrauch in Systemen als immanente Struktur subjektiv und kollektiv als falsch anerkannt wird, bzw. wenn Interventionen teilweise von außen einen Prozess der Erkenntnis – und in Folge eine Veränderung – auslösen, kann ein Zustand der Achtung wieder hergestellt werden. Es bedarf im Allgemeinen mehr als „Wissen“, sich den Facetten der Macht zu stellen, sie zu unterscheiden und sie dementsprechend zu praktizieren.

Karin Luzia Spiegel

Infos u.a. unter:
www.buerofuerfrauenfragen.at
www.arbeiterkammer.com

www.bmgf.gv.at
(Gleichbehandlung/Gleichstellung/ Infos bei Fragen zu: Diskriminierung aufgrund ethnischer, sexueller etc. Orientierung in der Arbeitswelt)
www.doew.at
www.linz.at/frauen

Karin Luzia Spiegel ist Projektmanagerin bei Radio FRO.

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