Babelingische Sprachenvielfalt

Die „Do’s and Don’ts“ der sprachübergreifenden Sendungsgestaltung im Freien Radio.

 

von Veronika Leiner

Mehrsprachigkeit, so die Linguistin Brigitta Busch, komme nicht nur im alltäglichen, sondern auch im wissenschaftlichen Diskurs hauptsächlich als „defizitäres Sprechen“ vor: Wachsen Menschen in mehrsprachigen Zusammenhängen auf, so wird davon ausgegangen, dass sie keine der Sprachen, die sie sprechen, wirklich beherrschen – und deshalb natürlich hinter einem Mikrophon auch absolut nichts zu suchen haben. Einsprachigkeit als Norm, Mehrsprachigkeit als Sonderfall – das ist im Alltag genauso wie in den Medien die gängige Perspektive. Auch im Freien Radio ist das nicht viel anders: In bis zu 15 verschiedenen Sprachen senden die Freien Radios in Österreich, aber die meisten Sendungen von/für MigrantInnen oder autochthone Minderheiten werden großteils einsprachig gestaltet. Dennoch gibt es mehrsprachige Experimente – und für die Übersetzung einer mehrsprachigen gesellschaftlichen Realität in eine gelebte mehrsprachige Medienrealität bieten eben gerade die Freien Radios ein Experimentierfeld.

Babelingo also nennt sich die Arbeitsgruppe des Verbands Freier Radios Österreich1, die versucht, sprachübergreifende Sendungsgestaltung zu analysieren und methodisch zu erfassen. Entstanden ist diese Arbeitsgruppe im Anschluss an das „Hörfestival“2 der Freien Radios, das 2001 in Linz stattfand: Damals wurden Fragen nach Erfahrungen mit zwei- und mehrsprachiger Sendungsgestaltung, nach Kriterien für positiv erlebte Mehrsprachigkeit im Radio aufgeworfen, „Babelingo“ führte diese Diskussionen in einer Workshopreihe weiter. Im vergangenen Jahr wurden bereits Sprach-„Brücken gebaut“: Ein Moderationsglossar von symbolischen Sprachbrücken in 8 Sprachen wurde erarbeitet3. Und unter dem Titel „Creating Interfaces“ diskutierten TeilnehmerInnen aus verschiedenen europäischen Ländern die unterschiedlichen medienpolitischen Gegebenheiten vor allem in Hinblick auf die Entwicklung multiethnischer Gesellschaften und deren mediale Bedürfnisse4.

Anfang März wurden bei Radio FRO5 schließlich „Do’s and Don’ts der sprachübergreifenden Sendungsgestaltung“ diskutiert: Brigitta Busch stellte gegen das eingangs zitierte „Defizitparadigma“ eine Perspektive, die mehrsprachige Praxis als soziales Wissen im Umgang mit Sprache positiv bewertet. In ihrem Referat wies sie auf die erstaunlichsten Strategien hin, die RadiomacherInnen in mehrsprachigen Sendungen intuitiv verwenden: Die Sprachwahl in mehrsprachigen Situationen, das „Switchen“ von einer in eine andere Sprache sei niemals zufällig, es folgt – unbewussten – Regeln und transportiert Bedeutung: Sprachwechsel sind situationsgebunden und sie sind Anschlussstellen für einsprachige HörerInnen, die Identifikation schaffen, zum Weiterhören einladen. Trotzdem – darauf wies Tülay Tuncel (Radio FRO) in ihrem Referat hin – wenden sich mehrsprachig gestaltete Sendungen wohl nur in Einzelfällen an MigrantInnen der 1. Generation: Zielgruppe sind viel eher die 2. und 3. Generation, die auch im Alltag mit der eigenen Mehrsprachigekeit spontan und spielerisch umgehen. Diese aktive, gelebte Mehrsprachigkeit wurde neben dem Prinzip der Gleichberechtigung der Sprachen, der Ablehnung von Sprachpurismus und -perfektionismus u.a. auch als eines der Kriterien für „gelungene“ sprachübergreifende Sendungsgestaltung definiert. Interaktiver, offener, kreativer Umgang mit Sprachen und Sprechen, nicht langwierige und -weilige 1:1-Übersetzungen wurden als „Do’s“ postuliert. Wenn also in einer Sendung von Radio Helsinki (Graz)6 zweisprachig ein Fußballspiel Türkei gegen Österreich kommentiert wird, und sich die ursprüngliche 1:1-Übersetzung schnell in ein spielerisches, spontanes Ironisieren der Sprachensituation auflöst, dann haben die Moderatoren intuitiv getan, was WissenschaftlerInnen und WorkshopteilnehmerInnen (tage)lang diskutieren: Der einsprachig deutschsprachige Moderator gibt dort mit einer erfundenen Scheinübersetzung seines zweisprachigen Ko-Moderators die Moderationsleitung in „seiner“ Sendung ab: Er hat seine Einsprachigkeit als Defizit erkannt.

Veronika Leiner

1 http://www.freie-radios.at 2 http://www.freie-radios.at/hoerfestival 3 Audiodateien unter http://www.babelingo.net 4 Dokumentation von Babelingo 2002: http://www.freie-radios.at/babelingo.php 5 http://www.fro.at 6 http://www.helsinki.at

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