Kultur als interregionaler Wirtschaftsfaktor

Trotz ökonomischer Ausrichtung der EU-Regionalförderprogramme haben grenzüberschreitende Kulturprojekte Chancen, Gelder aus Brüssel zu lukrieren, z. B. durch das Programm INTERREG II. Dessen Möglichkeiten erörterten Experten bei der KUPF-Podiumsdiskussion am 27. Mai 1998.

 

von Martin Lengauer

So wenig die Bedeutung grenzüberschreitenden kulturellen Austauschs für die Integration Europas zu bezweifeln ist, so wenig auch die Überwindung nationaler Grenzen für die Kulturarbeit selbst. Zwar fokussiert die Europäische Union in ihren Programmen zur Regionalentwicklung die infrastrukturelle und wirtschaftliche Entwicklung. Doch auch Kunst- und Kulturschaffende bietet sie Gelegenheit, länderübergreifende Projekte zu realisieren.

Was ist INTERREG ?

Eine der wichtigsten Gemeinschaftsinitiativen der EU nennt sich INTERREG II (1), in deren Rahmen die EU grenzüberschreitende Projekte zur regionalen Entwicklung fördert. Überschritten werden nicht nur die EU-Binnengrenzen sondern auch jene zu benachbarten Nichtmitgliedsstaaten. So nimmt Oberösterreich an den INTERREG II-Programmen Österreich-Deutschland/Bayern und Österreich-Tschechien teil und kann von 1995-99 mit etwa 55 Mio. Schilling aus EU-Mitteln für eingereichte Projekte rechnen. Als wichtigste Kriterien für eine Projektfinanzierung im Rahmen von INTERREG II gelten der regionale wirtschaftliche Nutzen und die grenzüberschreitende, partnerschaftliche Umsetzung. Der wirtschaftliche Nutzen muß sowohl mittelbar (z. B. durch Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze) als auch unmittelbar (z. B. durch ansteigende Nächtigungszahlen im Fremdenverkehr) nachweisbar sein. Gespeist wird die Initiative INTERREG II aus drei Fonds, dem Europäischen Sozialfonds (ESF), dem Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) und dem Europäischen Fonds für Regionalentwicklung (EFRE). Die EU-Kommission legt zunächst grundsätzliche Richtlinien für die fünfjährige Programmperiode von INTERREG fest, etwa die Förderung regionaler Wirtschaftszweige oder der soziokulturellen Zusammenarbeit. Innerhalb dieses Fünf-Jahresplans haben die Mitgliedsstaaten relativ freie Hand bei der Verwaltung der EU-Mittel. Hier muß erwähnt werden, daß INTERREG II eine nationale Kofinanzierungspflicht vorsieht. Projekte, für die eine Förderung aus INTERREG-Mitteln beantragt wird, müssen zunächst diese Kofinanzierung sowie einen bestimmten Anteil an Eigenmitteln sicherstellen. Dazu kommt die rigide Zahlungsmoral der EU-Kommission. Zugesagte Finanzmittel werden ausschließlich nach dem Erbringen von Verwendungsnachweisen ausbezahlt. Projektträger müssen sich also rechtzeitig um eine Zwischenfinanzierung umsehen. Die Koordination der verschiedenen Finanzierungsquellen erfordert großen zeitlichen und bürokratischen Aufwand, der für private Projektträger unmöglich zu leisten ist. Der Weg aus der Sackgasse ist nur mit Hilfe regional organisierter Ansprechpartner zu finden, die aufgrund technischer und personeller Ausstattung den administrativen Aufwand des INTERREG II-Programmes meistern können. Als solche empfehlen sich die Euregios.

Die Euregios – Motoren der EU-Regionalpolitik

Politische und kulturelle Kooperation ohne Bedachtnahme auf nationale Grenzen – diesem Ziel verschrieben sich schon vor gut 20 Jahren einige Regionen innerhalb der damaligen EWG. 1994 wurde die Idee der Euregios aus dem deutsch-belgisch-holländischen Grenzraum nach Oberösterreich importiert: Das Innviertel schloß sich mit benachbarten bayrischen Bezirken zur Euregio Inn-Salzach zusammen, die Gemeinden des Mühlviertels sind seither Teil der trilateralen Euregio Bayrischer Wald-Böhmerwald/Sumava (BABÖWA). Gegründet, um die wirtschaftlichen und kulturellen Nachbarschaftsbeziehungen zu verbessern, ist die wesentlichste Aufgabe der Euregios seit Österreichs EU-Beitritt (1995) die projektbezogene Lukrierung von Geldmitteln der Union für die regionale Entwicklung. Besondere Bedeutung kommt dabei dem INTERREG II-Programm zu, für dessen optimale Umsetzung die Euregios verantwortlich sind. Wohlgemerkt: Umsetzung bedeutet Betreuung der Projekte von Konzeption, Einreichung, organisatorischer Betreuung bis zur Abwicklung der Finanzierungsansuchen, nicht aber Finanzierung selbst. In der Praxis funktioniert dies laut Wilhelm PATRI, dem Leiter der Mühlviertler Geschäftsstelle der Euregio BABÖWA, folgendermaßen: die Euregio-Verantwortlichen treten an potentielle Projektpartner heran (oder umgekehrt) und klären zunächst ab, ob ein Projekt die INTERREG II-Kriterien (Wirtschaftlichkeit, Partnerschaftlichkeit) erfüllen könnte und welche Partner jenseits der Grenzen für die Umsetzung in Frage kämen. Eine gemischtstaatliche Projektgruppe kümmert sich sodann um die Finanzansuchen bei den zuständigen Stellen (in Österreich: Gemeinden, Land, Bund; sowie in Brüssel). Ein Beispiel für ein INTERREG II-Projekt aus dem kulturellen Bereich bietet die „Textile Kultur Haslach“. Ziel ist die Vernetzung von Textil-Designern mit einschlägigen Betrieben in der Region sowie der Aufbau eines Seminar- und Workshopprogrammes zu textiler Gestaltung. Die Projektkosten belaufen sich insgesamt auf 3,36 Mio. ATS. Ein Drittel stammt aus INTERREG-Mitteln, 400.000 ATS schießen der Bund, 720.000 ATS das Land OÖ. zu. Das restliche Drittel wird durch Eigenleistung und Sponsoren aufgebracht. Weitere INTERREG-Projekte sind: der „Schwarzenbergische Schwemmkanal“, die touristisch relevante Revitalisierung eines kulturhistorischen Denkmals an der oö.-tschechischen Grenze (EU-Förderung: 2,5 Mio. ATS); oder die Wiederbelebung der Pferdeeisenbahn bei Rainbach/Mkr. (EU: 2,5 Mio. ATS). Aus letzteren Beispielen geht hervor, daß – meist unter touristischer Perspektive – der wirtschaftliche Nutzen eines Kunst- oder Kulturprojektes auf der Hand liegen muß. Es fragt sich also, ob die künstlerische oder soziokulturelle Qualität von Projekten nicht um unmittelbarer wirtschaftlicher Erfolgsnachweise willen auf der Strecke bleibt. Fraglich auch, inwieweit durch derartige Großprojekte der Abbau politischer (Schengen!) und psychologischer Grenzen tatsächlich vorangetrieben wird. Im Hinblick auf eine Erweiterung und politische Vertiefung der europäischen Integration bedarf es wohl einer Korrektur einseitig auf unmittelbaren Wirtschaftsnutzen ausgerichteter EU-Programme. Kritik wird auch an der rigiden Förderpraxis der EU laut. Da zugesagte Mittel prinzipiell erst nach Erbringen von Verwendungsnachweisen ausbezahlt werden, muß viel Zeit und Energie in die Sicherung der Zwischenfinanzierung investiert werden. Verschärft wird das Problem durch einen Beschluß der österreichischen Landesfinanzreferenten, keine EU-Mittel vorzufinanzieren. Projektträger, die durch diese Rigidität noch nicht entmutigt sind, üben sich gemeinsam mit den Euregios in Mangelverwaltung.

Eine Chance für die Kleinen – durch INTERREG-Dispositionsmittel

Für Kleinprojekte, die zwar den INTERREG II-Kriterien entsprechen, denen aber der Instanzenweg nicht zuzumuten ist, hat Oberösterreich als erstes Bundesland einen Dispositionsfonds eingerichtet. Jede Euregio kann pro Jahr bis zu 200.000 ATS für Projekte mit einem Gesamtförderbedarf von max. 70.000 ATS ausgeben. Allerdings darf der Förderanteil aus dem Dispositionsfonds nicht mehr als 40 Prozent (also 28.000 ATS) betragen. Was insofern problematisch ist, als Kofinanzierungen aus nationalen oder Landesmitteln bei Kleinprojekten nicht erlaubt sind. Ziel des Dispositionsfonds soll eine regionale Initialzündung für größere grenzüberschreitende Vorhaben sein. Aktivisten aus dem Kunst- und Kulturbereich bietet der Fonds Gelegenheit kleine Projekte mit Partnern aus dem benachbarten Ausland zu realisieren. Vorausgesetzt, die Restriktionen bei der Finanzierung sind zu bewältigen und der wirtschaftliche Effekt des Projektes nachweisbar. Die Local-Bühne Freistadt konnte gemeinsam mit dem Passauer Scharfrichter-Kino für einen prämierten Film des Heimatfilmfestivals Synchronisation und mehrere Aufführungen finanzieren. Wolfgang Steininger von der Local-Bühne hat zwar keine Probleme mit der ökonomischen Ausrichtung des Fonds, stößt sich aber an den engstirnigen Finanzierungsrichtlinien. Für Kulturprojekte ist es besonders schwer, private Sponsoren zu gewinnen. Steininger sieht sich unter diesen Bedingungen außerstande, die transnationale Kooperation weiterzuführen. Zudem mußte er auf einen Betrag von ca. 25.000 ATS gut ein halbes Jahr warten.

Zur Zukunft von INTERREG

Von 2000-2005 wird die dritte Periode der EU-Initiativen zur Regionalentwicklung über die Bühne gehen. Derzeit läuft die Planungsphase für ein eventuelles INTERREG III-Programm, das wesentlich unbürokratischer als sein Vorgänger funktionieren wird. Finanzierung und Abwicklung betreffen dann ausschließlich den Regionalfonds EFRE. Auch die Kompatibilität von INTERREG und „PHARE CBC“ (für: cross border co-operation), dem Partnerprogramm mit der Tschechischen Republik, gilt es im Hinblick auf die EU-Osterweiterung zu forcieren. Kein Geld im voraus! Von dieser Richtlinie wird die EU-Kommission nicht abrücken. Der Ball liegt nun bei den nationalen Gebietskörperschaften und auch bei den Banken, die sich ihrer „europäischen Verantwortung“ bewußt werden und Projektträger – auch aus dem Kulturbereich – unterstützen sollten. Bleibt zu hoffen, daß man in Brüssel die engen ökonomischen Kriterien des INTERREG-Programmes durchbricht. Der europäischen Integration würde es guttun.

(1) Interreg II deshalb, weil derzeit die zweite Programmperiode (1995-1999) läuft.

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