E(litär) und U(ngleich)

Das Ernsthafte gilt als förderungswürdige Kunst, das Unterhaltsame soll sich selbst finanzieren. Woher kommt die Unterscheidung in E und U? Was bedeutet die damit verbundene Abwertung des Lustvollen für die Arbeit in Kulturvereinen? Florian Walter auf der Suche nach Antworten.

Lustige Party, ernste Kunst?

Im Alltag von Kulturtätigen werden (musikalische) Darbietungsformen oft nach Förderungswürdigkeit unterschieden. Eingeteilt wird in Veranstaltungen, die finanzielle Mittel aus Subventionen „verdienen“, um durchgeführt werden zu können; und solche, bei denen Einnahmen aus Eintrittsgeldern die Ausgaben für Technik, Gagen und Unterkunft auszugleichen haben. Häufig wird argumentiert, dass der Gig einer Jazzkombo oder eines Impro-Ensembles ein „Minus“ erzeugen dürfe, das durch Förderungen ausgeglichen wird, während DJ-Lines oder Rockkonzerte sich ökonomisch „selbst tragen“ müssten. Schließlich sei letzteres ja „Party“, ersteres dagegen – ja, was eigentlich? – Kunst?

Diese Hierarchisierung ist ungerecht(fertigt): Warum muss die Indie-Band Geld bringen, das Impro-Trio aber nicht? Und: Woher kommt eigentlich diese implizite Abwertung des mutmaßlich Lustvollen gegenüber einer Aufwertung des scheinbar Fordernden? Was bedeuten diese Bewertungen für zeitgenössische Kulturvereine?

Wir sind da, wo oben ist

Die Einteilung in höher- und geringerwertige Musik bildet sich am deutlichsten in der Unterscheidung von E(rnster) und U(nterhaltungs)-Musik ab. Die Unterteilung in E- und U-Musik ist nur im deutschsprachigen Raum geläufig. Wo liegen ihre Wurzeln?

Im Kapitalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts standen die Vermarktlichung vormals nicht-ökonomischer Sphären sowie die Verbürgerlichung der Gesellschaft – also deren Loslösung von Kirche und Hofstaat – Pate für zahlreiche Veränderungen. So auch in der Musik: Um 1890 hielt die Unterhaltungsmusik in Cafés und Restaurants Einzug und erwirtschaftete gute finanzielle Erträge.[1] Dadurch fühlten sich die etablierten Komponisten (!) in ihrem Status bedroht. Denn auch ihre Auftragslage stockte, seit die Herrscher*innenhäuser ins Wanken geraten waren.

Wenn privilegierte Gruppen Verlustängste beschleichen, wählen sie oft die Herabwürdigung des Anderen als Verteidigungsstrategie. Das ist aus sexistischen oder rassistischen Diskursstrategien bekannt.[2] So auch die Komponisten der Romantik: Sie beharrten auf dem ästhetischen Standpunkt, dass „ernste“ (im Sinne von ernst gemeinte) musikalische Kompositionen sich durch aufwändige Notation und komplexe Melodien auszeichneten, die von Genies niedergeschrieben würden, die frei von ökonomischen Zwängen agieren. Die melodisch einfacher gestalteten Kompositionen der Unterhaltungsmusik wurden dadurch genauso schlecht gemacht wie die meist unnotierten Volksmusiken.

Institutionelle Verankerung

Damit die E-Musik ihren als höher angesehenen handwerklichen Status bewahren konnte, wurden um die Jahrhundertwende Urheber*innenrechte gesetzlich verankert und darauf aufbauend musikalische Verwertungsgesellschaften gegründet (1903: GEMA in Deutschland, 1897: AKM in Österreich). Diese kassierten bei jeder öffentlichen Darbietung eines Werks Aufführungsentgelte.

Die an der Gründung direkt beteiligten Personen – überwiegend Komponisten[3] der Spätromantik wie Richard Strauss – waren von Beginn an vor allem daran interessiert, ihre eigene ökonomische Stellung abzusichern. So wurden musikalische Werke nach den Kriterien Besetzung (Größe und Instrumentierung des Ensembles) und Aufführungsort (von Opernhaus bis Biergarten) kategorisiert. Aufführungen musikalischer Werke der „ernsten“ Sparte wurden dabei mit deutlich höheren Mitteln ausgestattet, als jene der Unterhaltungssparte. Dass Ernste Musik finanziell mehr Wert ist als Unterhaltungsmusik, war nun auch in Recht und Institutionen festgeschrieben.

Forever ernst

Die Einführung der Bezeichnungen E und U wurde nicht vorgenommen, um die Musik besser analysieren zu können. E und U sind keine musikwissenschaftlichen Kategorien. Vermeintlich an diese Unterscheidung gekoppelte ästhetische Klassifikationen wurden vielmehr als Vorwand benutzt.  Der Status der Privilegierten sollte gesichert werden, indem das Neue gegenüber dem Traditionellen als trivial diskreditiert wurde. Die Ungleichbewertung musikalischer Ausdrucksformen existiert bis heute. Sowohl GEMA als auch AKM stützen ihre Entgelte immer noch auf die Unterscheidung zwischen Ernster und Unterhaltungsmusik. Bei der AKM wird E-Musik doppelt bis dreifach, bei der GEMA sogar bis zu achtmal höher abgegolten als U-Musik.[4]

Dahinter liegen offenbar langfristig verankerte Überzeugungen: Als im Jahr 2003 der Aufsichtsrat der GEMA erstmals ausschließlich mit Komponist*innen der U-Musik besetzt war, kam im Feuilleton schnell Panik auf, wie sich die Neubesetzung auf die Verteilung der Gelder auswirken werde. Die Musikwissenschaftlerin Susanne Binas-Preisendörfer bezeichnete diesen Reflex als „Geste kultureller Überheblichkeit“, die offenbar immer noch von einer ästhetischen Höherbewertung der „ernsten Künste“ ausgeht.[5]

Nummer sicher? Nicht lustig!

Was bedeutet nun die Kategorisierung in E und U in der Musik für einen zeitgenössischen Kulturverein? Der Blick in die Geschichte zeigt, dass solche Dichotomien stets Festschreibungen von Klasse und Ungleichheit sind. Sie können sehr langfristig und auch weit außerhalb des unmittelbar betroffenen Feldes wirken.

In den Kulturvereinen hat das massive Auswirkungen auf die Programmgestaltung: Während in den „förderungswürdigen“, vermeintlich höherwertigen Genres auf das Experiment gesetzt wird, müssen im „selbsttragenden“, populären Bereich stets die sicheren Nummern gebucht werden. Die Hierarchisierung verhindert also, dass Neues und qualitativ Hochwertiges im Unterhaltenden zu finden ist. Ungleichheiten werden in Gagen und damit in der künstlerischen Anerkennung betoniert. Die romantische Doktrin wird fortgeschrieben: Das Lustige kann in seiner mutmaßlichen Einfachheit zwar ein einträgliches Geschäft sein, aber ganz sicher nicht Kunst. 

Derartig anmaßende Anschauungen sollten gerade Aktivist*innen, die sich selbst gerne avantgardistischen, subversiven und/oder soziokulturellen Strömungen zuordnen, stets selbstkritisch hinterfragen. Damit Neues entstehen kann; damit die Durchlässigkeit der Gesellschaft bewahrt bleibt; und damit das Lustvolle nicht allein dem Markt überlassen wird.


[1] In den 1920er und 30er Jahren stiegen diese Erträge mit der Einführung von Schallplatten, Radio und Tonfilm noch einmal deutlich an.

[2] Sehr erhellend sind etwa die Ausführungen von Martha Nussbaum über den Einsatz der Emotionen Angst und Ekel zur Herabwürdigung von Muslim*innen, BIPoC und FLINTA* (Königreich der Angst, btb 2020).

[3] Tatsächlich finden sich keine Frauennamen. Komponistinnen wie Fanny Hensel, Emilie Mayer und Clara Schumann waren zur Gründung der Gesellschaften bereits verstorben. Andere wie Luise Adolpha Le Beau tauchen in den Aufzeichnungen nicht auf. Die Rolle von Care-Arbeit, Netzwerken und anderen indirekten Beteiligungen an Entwicklungen wird in der Forschung oft nicht beachtet.

[4] Mandy Risch, Andreas Kerst (2011): Eventrecht kompakt: Ein Lehr- und Praxisbuch mit Beispielen aus dem Konzert- und Kulturbetrieb, S. 322.

[5] Susanne Binas-Preisendörfer (2006): „Verteilungsplan, ideologische Konstruktion und sozialer Filter. Zur Geschichte der Kategorien von E-Musik und U-Musik“, in: Jahrbuch für Kulturpolitik – Diskurs Kulturpolitik. hrsg. Von Norbert Sievers und Bernd Wagner, Essen, S. 271-277.

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