Ein prominentes linguistisches Entführungsopfer unserer Zeit ist der Begriff ‘Freiheit’. Zu den Kidnapper*innen gehören die Verirrten, die während der Pandemie dagegen protestierten, andere durch umsichtiges Verhalten schützen zu müssen. Seit wann ist das In-den-Wind-Schlagen von Vorsichtsmaßnahmen eine Rebellion gegen den Konformismus?
Die Autorin und Journalistin Solmaz Khorsand hat sich mit dieser Frage in ihrem neuen Buch untertan beschäftigt. Der Begriff ‘Querdenker*in’, der früher positiv besetzt gewesen sei, verkehre sich durch die „regressiven Rebell*innen“ (wie sie der Soziologe Oliver Nachtwey nennt) und deren Kampf gegen die Coronamaßnahmen ins Gegenteil. Das Beispiel lädt ein, über eine Frage aus Khorsands Buch zu reflektieren: In welchen Fällen kann Anpassung lebensnotwendig sein – und sogar richtig?
Bei einer Veranstaltung in Wien formuliert Khorsand den schönen Satz: „Anpassung ist stigmatisiert als Gegenteil der Emanzipation, aber manche Formen der Anpassung ermöglichen uns auch viele kollektive Freiheiten.“ Sie paraphrasiert damit den Soziologen Philipp Staab, der die Klimakrise als Chance begreift, die Gesellschaft für ein positives Miteinander zu mobilisieren. Ein kollektiver Ausbruch könne der Vereinsamung der individualisierten Konsumgesellschaft entgegengesetzt werden.
Ich male mir aus, wie sich das anfühlen würde, während ich noch schnell beim Supermarkt den Familieneinkauf erledige. Was, wenn der Supermarkt, der jede Woche Tonnen an Waren wegschmeißt, diese stattdessen für ein Stadtteilfest spendet, wo alle gemeinsam kochen? Und wenn eine Straße gesperrt wird, durch die sonst SUVs zu ihren Einfamilienhaussiedlungen brettern, damit stattdessen dort die Kinder spielen können?
In den Medien werden Szenarien, eine nachhaltigere Welt zu errichten, fast ausschließlich als Verzicht beschrieben. Wir “dürfen” demnach nicht mehr Autofahren, kein Fleisch mehr essen, etc. Aber was, wenn der vermeintliche Verzicht überhaupt keiner ist?
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