KI und Kulturarbeit

Ein Appell, sich einzumischen von Magdalena Reiter.

Vor fast drei Jahrzehnten begann die Diskussion um das Konzept der sozialen Medien. Von den 5,4 Milliarden Internetnutzer*innen weltweit nutzen Anfang 2024 über 5 Milliarden soziale Medien¹. Das bedeutet, dass der überwiegende Teil der Menschheit über digitale Plattformen vernetzt ist. Doch die Auswirkungen dieser Entwicklung auf unser soziales Miteinander sind komplex und nicht ausschließlich positiv.

Zweifellos haben soziale Medien das Potenzial, Menschen zu verbinden und Demokratisierungsprozesse zu unterstützen. In der Praxis jedoch sind sie zunehmend von Bots überflutet und durch intransparente Algorithmen gesteuert. Dies führt dazu, dass die soziale Spaltung intensiver spürbar ist als in den letzten Jahrzehnten. Desinformation schafft unterschiedliche Lebensrealitäten selbst unter direkten Nachbar*innen, was den gesellschaftlichen Zusammenhalt stark belastet.

“Neutrale” Technologie?

Die Einführung von künstlicher Intelligenz hat diesen Trend noch beschleunigt. Nicht nur werden Desinformationskampagnen zunehmend professioneller durchgeführt. Zudem basieren moderne generative KI-Systeme auf der Analyse umfangreicher Datensätze, die oft historische Daten umfassen. Diese sind bereits von menschlichen Vorurteilen und strukturellen Ungleichheiten geprägt. Folglich können die daraus resultierenden Systeme diese Missstände weitertragen und in ihren Entscheidungen und Vorhersagen reproduzieren.

Immer deutlicher wird, dass die vermeintlich „neutrale“ Technologie durchaus voreingenommen sein kann. Ein Beispiel dafür sind Algorithmen zur Bewertung von Kreditwürdigkeit: Mittlerweile sind Fälle bekannt geworden, in denen als Frauen eingetragene Personen auch bei gleichen Voraussetzungen schlechter beurteilt werden und folglich weniger Kreditrahmen bekommen. Zudem stellt sich die Frage: Wie kann man weiterhin Vielfalt fördern, wenn wir so mächtige Maschinen bauen, die am liebsten nachmachen, was bereits da war? 

KI-Systeme gestalten

Wenn wir in einer digitalisierten Welt leben möchten, die ein faireres und pluralistisches Miteinander fördert, müssen wir aktiv werden. Die EU unternimmt mit einem starken Datenschutz und dem kürzlich vorgestellten Entwurf des AI Acts² wichtige Schritte in die richtige Richtung. Dennoch bestehen weiterhin Lücken und Herausforderungen, insbesondere bei der Frage, wie eine breitere gesellschaftliche Beteiligung an der Gestaltung von KI-Systemen aussehen kann. 

Ein Schlüsselelement dafür ist Bildung. Wir brauchen breite Bildungsinitiativen, die technisches Wissen demokratisieren und kritische Medienkompetenz fördern. Diese Fähigkeiten sind entscheidend, um uns gegen die negativen Auswirkungen dieser Technologien zu wehren.

Zudem braucht es Kunst- und Kulturarbeit, denn mit ihr prägen wir neue Narrative abseits von populären Konzepten, kommerziellem Erfolg und Effizienzsteigerung. Medien für soziale Gerechtigkeit und kulturellen Ausdruck nutzbar zu machen, sind Ansätze, die mit der aktuellen Technologie umso wichtiger geworden sind. Zudem haben viele Kulturarbeiter*innen einen ausgeprägten Spürsinn für potentielle Missstände. Und wir sind geübt darin, diese aufzuzeigen, kritisch zu hinterfragen, um sie zu ändern und nachhaltig eine Verbesserung zu schaffen. 

„Wir formen unsere Werkzeuge, und dann formen unsere Werkzeuge uns.“   Marshall McLuhan

Große Tech-Unternehmen anzukreiden reicht nicht. Es ist unsere gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe, durch Dialog, interdisziplinäre Zusammenarbeit, Kompetenzaneignung und -vermittlung, Beteiligung von Betroffenen und marginalisierten Gruppen sowie politisches Engagement sicherzustellen, dass Technologie unsere pluralistischen Werte fördert. Denn noch können wir künstliche Intelligenz zu einer Technologie formen, die unsere Gesellschaft bereichert. Um uns ihr widmen zu können, müssen Fördergeber*innen aber verstehen, dass es dafür Ressourcen braucht. Wir müssen in Projekten auch Muße und Spiel mit neuen Technologien unterbringen. Wir müssen Experimentierräume aufbauen und natürlich braucht es auch hier eine gelebte Fehlerkultur. Und jene, die bereits Expertise haben, brauchen “saubere” Daten, die sie sicher nutzen können. Denn die Gestaltung einer positiven digitalen Zukunft erfordert unser vielfältiges Engagement und unseren Mut, neue Wege zu beschreiten.

¹ https://www.statista.com/statistics/617136/digital-population-worldwide

² Der AI Act ist ein vorgeschlagener Gesetzesentwurf der Europäischen Union, der darauf abzielt, künstliche Intelligenz durch umfassende Vorschriften zu regulieren. Dabei soll der Schutz persönlicher Daten, die Verhinderung diskriminierender Praktiken durch KI-Systeme und die Sicherheit und Transparenz von KI-Technologien gewährleistet werden.

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