Mitgegeben

Wir haben bei Kulturtätigen und -interessierten nachgefragt: (Wie) erlebst du derzeit Kultur? Statements von Lisa Leeb, Alice Erik Moe, Hemma Schmutz und Lisa-Maria Neumüller.


„Das Bedürfnis nach Kunst und Kultur ist da, die Gewohnheit regelmäßig Veranstaltungen zu besuchen, wird sich wieder einstellen.“

Lisa Leeb

Vor der Pandemie bin ich mindestens dreimal pro Woche auf Konzerte oder ins Kino gegangen. Momentan besuche ich einmal pro Woche Veranstaltungen, was im Vergleich zu meinem Umfeld noch immer recht häufig ist. Ich merke, dass es seit dem Lockdown im Frühjahr anstrengender geworden ist, gemeinsam mit vielen Menschen Kunst und Kultur zu konsumieren. Man ist es nach der Pause einfach nicht mehr gewöhnt, sich längere Zeit auf etwas zu fokussieren oder Konzerte im Sitzen mit Einschränkungen zu genießen. Die Pandemie ist nach wie vor für uns alle in vielen Bereichen äußerst mühsam. Das merkt man auch daran, dass man am Ende des Tages lieber zu Hause bleibt oder sich mit Freund*innen trifft, ohne von einem Konzert oder einem Film abgelenkt zu sein. Wir haben uns oft einfach nur auf einen Kaffee getroffen oder auf der Donaulände verabredet. Irgendwie sind wir mit den aktuellen Ereignissen sehr ausgelastet bzw. gefordert, sodass der Kulturkonsum im Moment nicht die höchste Priorität hat. 

Ich bin aber optimistisch, dass sich das sowohl für das Publikum als auch für die Veranstalter*innen wieder einpendeln wird. Die Szene kann sich seit jeher sehr gut an die Gegebenheiten anpassen. Seien es gestrichene Förderungen oder personelle Änderungen – der Linzer Szene ist immer wieder ein Weg eingefallen, trotzdem aktiv zu sein. Auch das Angebot wird wieder vielseitiger und experimenteller werden. Momentan beobachte ich, dass vorwiegend lokale Cashcows gebucht werden, mit denen man auf Nummer sicher gehen will. Natürlich wird es auf Dauer uninteressant, alle paar Monate dieselben Künstler*innen mit demselben Programm zu sehen; aber als Besucher*in habe ich auch Verständnis für die Booker*innen, die sich angesichts der finanziell angespannten Lage keine leeren Säle mit neuen, unbekannten Künstler*innen leisten können. Das ist seit den neuen Regelungen und der immerwährenden Planungsunsicherheit ein Teufelskreis. Angebot und Nachfrage werden sich aber auch wieder einpendeln. Wenn überall dieselben Regeln gelten, sich die Leute sicher fühlen und wieder an Live-Erlebnisse gewöhnt haben, wird es für uns alle wieder bergauf gehen!


„Ich würde es gerne ‘Post-Corona-Depression’ nennen, aber wir sind ja noch mittendrin.“

Alice Erik Moe

Ich nehme die derzeitige Lage als allgemeine Erschöpfung wahr, sowohl beim Publikum, als auch bei den Veranstalter*innen und den Künstler*innen. Das war so nicht unbedingt zu erwarten, weil sich die Situation über den Sommer doch eigentlich sehr positiv dargestellt hat und vom Publikum auch gut angenommen wurde. Jetzt, da es wieder mehr Einschränkungen gibt und die Zahlen hochgehen, liegt wieder eine allgemeine Unsicherheit in der Luft. Beim Porn Film Festival war es für die meisten noch sehr ungewohnt, sich mit so vielen anderen live in einem Raum zu treffen. Daran musste man sich erst wieder gewöhnen. Jetzt im Winter kann man auch nicht mehr Draußen veranstalten, was die Unsicherheit nochmal verstärkt.  

Auch ich habe klare Einbußen zu verzeichnen, trotz einigen Online-Workshops, Mini- Auftritten und selbst organisierten Shows. Als Künstler*in ist es außerdem sehr aufwändig, wenn man plötzlich so viele Funktionen einnehmen muss. Ich muss selbst Tests prüfen, im schlimmsten Fall droht mir Haftung für Veranstaltungen, ich muss kalkulieren, ob eine Veranstaltung mit begrenzter Teilnehmer*innenzahl rentabel ist, bekomme eventuell keine Entschädigungen bei (kurzfristigen) Absagen oder darf mir anhören, nicht verantwortungsvoll zu handeln. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt ein Desaster, Künstler*in zu sein. 

Ich verstehe den Frust und die Schwere der Menschen und möchte allen Mut machen, Lösungen zu finden und weiter Veranstaltungen zu planen! Es gibt aber auch viele Menschen, die gelernt haben umzudenken und neue Formate zu entwickeln. Online-Veranstaltungen und solidarische Gesten können natürlich keine Live- Veranstaltungen ersetzen, aber sie sind zumindest eine gangbare Alternative in unserer derzeitigen Situation. Hier merkt man, dass die Menschen, die motiviert sind, neue Wege finden. Gleichzeitig verstehe ich alle, die mittlerweile resignieren und nicht mehr bereit dazu sind, sich ständig neu anzupassen.


„Das ständige Hin- und Herspringen und die fehlende Planbarkeit machen alles sehr schwierig.“

Hemma Schmutz

Seit März 2020 muss ich zwei städtische Museen, Nordico und Lentos, durch die Pandemie führen. Mein Resümee über diese Zeit ist durchwachsen: Ich glaube nicht, dass die Menschen die Lust auf Kunst und Kultur verloren haben. Vielmehr liegt es an den Rahmenbedingungen, dass sie nicht mehr kommen. Ich begrüße alle Maßnahmen, die dazu dienen, Menschenleben zu schützen. Aber meine Mitarbeiter*innen und ich befinden uns in einer extrem frustrierenden Situation. Manche Projekte bereiten wir über mehrere Jahre vor und können sie dann nie präsentieren. Uns fehlen die Erfolgserlebnisse und die geselligen Eröffnungen. Diese brauchen wir aber, um motiviert arbeiten zu können.

Bei Museen ist der Umgang mit der Pandemie mit sehr spezifischen Herausforderungen verbunden. Im Nordico haben wir mit Ausstellungen wie „Der junge Hitler“ dieses Jahr eine große Anzahl an Gruppen angesprochen. Das Lentos konnte sich im ersten Lockdown gut anpassen. Unser Team hatte schnell viele gute Ideen. Neue Online-Formate wurden gut angenommen und wir konnten auch viel für uns selbst mitnehmen. 

Aber es ist natürlich zermürbend, wenn durch kurzfristig beschlossene Maßnahmen der Regierung plötzlich wieder ganze Besucher*innengruppen, wie etwa Schulklassen, ausgeschlossen werden oder die Museen sogar komplett schließen müssen. Und wir können nicht einfach doppelt so viel leisten. Man kann nicht mit dem gleichen Personalstand und gleichbleibenden Mitteln auf einem gleich hohen Niveau parallel, sowohl online als auch offline, arbeiten – das geht sich nicht aus. Deshalb verzichten wir momentan auf internationale Kooperationen, teure Transporte und langfristig angelegte Projekte. Die finanziell prekäre Lage konnten wir mittels Verschiebungen, Reduktionen und Verlängerungen von Ausstellungen aus eigener Kraft abfedern. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es auch in dieser Form nicht mehr weitergeht. So sehr wir uns bemühen: Wir werden das so nicht auf Dauer schaffen.


„Den Veranstalter*innen wird deutlich mehr abverlangt als vor der Pandemie.”

Lisa-Maria Neumüller

Die Ungewissheit und Planungsunsicherheit hat die letzten Monate sehr schwierig gestaltet. Es fließt viel Geld und Arbeit in die Bewerbung von Veranstaltungen, die dann nicht stattfinden können. Für 2020 hatten wir etwa ein Jahresprogramm samt neuem motiviertem Team zusammengestellt, das dann durch die Pandemie komplett ausgebremst wurde. So etwas ist für einen Verein, der ausschließlich ehrenamtlich arbeitet, mehr als herausfordernd.

Auch die Besucher*innen sind misstrauisch. Sie kaufen keine Vorverkaufskarten, weil sie sich nicht darauf verlassen können, dass veranstaltet wird. Hier auf eine Kurzfristigkeit zu setzen ist sehr schwierig, weil man als Veranstalter*in nie weiß, ob man dann die Leute noch erreicht oder nicht. Zusätzlich hat sich beim Publikum während der Lockdowns eine gewisse Gemütlichkeit breit gemacht. Ich denke aber nicht, dass das der ausschlaggebende Grund dafür ist, dass nun weniger Menschen Lust auf Kunst und Kultur haben. Man darf auch nicht vergessen, dass einige immer noch in Kurzarbeit sind und der Genuss von Kunst und Kultur auch eine finanzielle Frage ist. Die Veranstaltungsszene wird lange brauchen, bis sie wieder dieselben Besucher*innenzahlen erreicht wie vor der Pandemie – unabhängig davon, ob es große Häuser oder kleine Vereine sind.

Wir denken nicht, dass es ein Patentrezept dafür gibt, die Besucher*innenzahlen auf das Niveau wie vor der Pandemie zurück zu heben. Zu beobachten ist, dass es bekannte oder auch lokal ansässige Künstler*innen leichter haben, die Häuser zu füllen. Ein Phänomen, das es sicherlich auch schon vor Corona gab, aber ein Trend, der sich mit der Pandemie verstärkt hat. Wir werden jedoch weiterhin auf Newcomer setzen und eine ausgewogene Gender-Planung im Fokus haben. Genau jetzt ist das wichtig! Vom Publikum wünschen wir uns, dass es uns und unserem Programm vertraut, und dass es wiederkommt, auch wenn keine großen Acts auf der Bühne stehen. Seitens der Politik wäre Planungssicherheit wünschenswert. Wir brauchen ein einfacheres Förderungssystem: unbürokratisch und selbsterklärend.

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