Blaulicht im Blut

Das Übel der österreichischen Zeitungen begann in den 1980er-Jahren. Damals schuf die Austria Presse Agentur ein Chronik-Ressort. Die Zeitungen, die von der APA ihre Nachrichten beziehen, zogen nach. Hinter dem Namen Chronik versteckt sich alles, was nicht in die anderen Kategorien passt, wie Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sport. In der Praxis bedeutet Chronikjournalismus vor allem eines: Blaulicht. Oder wie es im US-amerikanischen Journalismus heißt: “If it bleeds, it leads.” Also, wenn Blut zu sehen ist, muss es auf die Titelseite.

Brot und Butter jeder Chronikredaktion sind Kriminalität, Mord und Totschlag. Als die Zeitungen ab Mitte der 80er eigene Ressorts dafür einrichteten, füllten sich die Titelseiten wenig überraschend bald mit Berichten über schaurige Bluttaten. Die Politikressorts verloren Ressourcen, die stattdessen bald dem Chronikalen gewidmet waren. Um die Geschichten aufzutreiben, bauten Redakteur*innen enge Kontakte zur Polizei auf, deren Sichtweise sie in ihrer Berichterstattung gern übernahmen. Sie machten sich damit zum Megafon der Staatsgewalt.

Dieser Umbau wirkt bis heute nach. Die Fixierung der Presse auf immer grauslichere Gewalttaten unterstützt das rechte Narrativ von Wien, das Migration und Kriminalität wie selbstverständlich vermischt. Dieses Zerrbild wird mit jedem weiteren Bericht über Jugendbanden im Bezirk Favoriten oder angebliche „No-Go-Zonen“ rund um Öffi-Knotenpunkte unterstützt. Soziale Brennpunkte, die mehr Aufmerksamkeit bräuchten, Sozialarbeiter*innen und Suchtkrankenhilfe, werden zum Sicherheitsproblem umgedeutet, das vorgeblich nur noch mehr Polizei notwendig macht. Auch Femizide landen im Zerrspiegel, ihre strukturellen Ursachen werden durch gewaltgeile Berichterstattung kaschiert.

Was tun? Schafft die Chronikressorts ab! Statt Kriminalitätsberichterstattung brauchen wir Kriminalitätsursachenberichterstattung, die soziale Wurzeln von Gewalt und den gesellschaftlichen Kontext mitberücksichtigt. Gewalt sollte nicht als Einzelereignis berichtet werden, sondern als Teil eines gesellschaftlichen Systems, das viele seiner Mitglieder an den Rand drängt. Statt die Kamera auf das Blut am Boden zu halten, sollten Journalist*innen auf das Leid fokussieren, das die Gewalt verursacht.

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