Auf der Bühne: A sitzt auf einem Stuhl, hat kleine blutverkrustete Wunden an den Beinen und kratzt an ihnen. B steht daneben.
B: Du wolltest doch mit dem Kratzen aufhören.
A rutscht schnell mit der Hand weg vom Bein auf die OberflächeArmlehne des Stuhls und kratzt dort weiter.
B: Hast du dich beim Rasieren geschnitten?
A: Ich bin im Wald durch Brombeerstauden gestolpert und dann auch noch hingefallen.
B: Wie ist es denn da draußen im neuen Haus?
A (kratzt weiter an der Oberfläche des Stuhls): Gut, nur manchmal kommt es mir so vor, als ob die Vergangenheit herumgeistern würde.
B: Du glaubst doch nicht an so etwas?
A (lässt den Stuhl los, streckt die Hände aus): Nein, aber ich habe gerade erst ein paar Details aus der NS-Vergangenheit meiner Familie erfahren.
B: Bei uns war es auch so. Es wurde einfach nicht darüber geredet.
A (lässt die Hände sinken): Als Kind habe ich mich so gut mit der Uromi verstanden. Wie wäre das gewesen, wenn ich damals schon gewusst hätte, was sie getan hat?
B: Es muss so viele Leute geben, denen es genauso geht, weil die Verwandtschaft in irgendeiner Form am Holocaust beteiligt war.
B blickt ins Publikum.
A: Aber das ist keine Entschuldigung.
B: Nein, nein.
A: Es gibt noch Kisten von der Uromi.
B: Hast du schon am Dachboden nachgesehen? Dort findet man ja auch immer alte Sachen.
A (streicht vorsichtig über die Wunden auf dem Bein): Ich weiß gar nicht, ob ich das will.
B (drückt sanft die Hand von A): Das kann ich verstehen. Die Vergangenheit kann manchmal unheimlicher sein als jeder Horrorfilm.
A (atmet aus): Ja. Und was man selbst damit zu tun hat.
B: Da hinzuschauen, würde uns helfen.
A starrt auf die blutverkrusteten Wunden.
B (grinst): Und falls es wirklich spukt, sag Bescheid. Ich liebe Geistergeschichten.
A (lacht): Du spinnst doch.
Der Text basiert auf dem Roman-Manuskript, an dem Imlinger arbeitet.
Mit Illustration von Theresia Emm.