Weibliche Wut?

Rezension Mareike Fallwickel: Die Wut, die bleibt

Eine Familie – Mutter, Vater und drei Kinder – sitzt beim Abendessen. Der Mann fragt nach Salz. Die Frau, Helene, steht auf, öffnet die Balkontür und springt. Mit diesem ultimativen Tabubruch, dem Suizid einer Mutter, beginnt „Die Wut, die bleibt“, der dritte Roman der 1983 in Hallein bei Salzburg geborenen Autorin Mareike Fallwickel. Mit flüssiger Sprache treibt sie ihre beiden Protagonistinnen Sarah und Lola nach dem dramatischen Prolog knapp vierhundert Seiten durch die Schattenseiten des Frauseins: Gender Care Gap, Generationenkonflikt, Vergewaltigung, Seximus, Gewalterfahrungen, Fatshaming. Da ist die kinderlose Sarah, die Helenes Familie nach dem Tod der besten Freundin zur Seite steht und von den für sie neuen Belastungen schnell überfordert ist. „Du bist erbärmlich, ihr alle. Ihr denkt, ihr habt die große Freiheit, dabei seid ihr umgeben von den Gitterstäben der Gesellschaft und checkt nicht mal, dass ihr im Käfig hockt“, erklärt ihr Lola, Helenes Tochter. Lola ist fünfzehn, woke, ein wandelndes Lexikon für feministische Theorie. Es ist auch Lola, deren Handlungsstrang dahin führt, dass Frauen sich körperlich wehren, sie nach Gewalterfahrungen im wahrsten Sinne des Wortes zurückschlagen, Kampfsport lernen und nachts Männer verdreschen, von denen sie wissen, dass sie Gewalt an Frauen verübt haben. Ein aufwühlendes Buch, spannungsgeladen. Man fiebert mit Lola und ihren Freundinnen mit, wenn sie vermummt zu ihren nächtlichen Rachestreifzügen aufbrechen. Und man fragt sich: Darf ich es gut finden, wenn Frauen Männer verdreschen, damit diese es eben nicht mehr tun? Die Wut der Protagonistinnen springt über, bleibt auch nach dem Lesen. Gleichzeitig machen die Emanzipationsprozesse, die Sarah und Lola durchlaufen, Mut, animieren dazu, politische Veränderungen einfordern zu wollen. Mut machen außerdem die Öffentlichkeit und der positive Zuspruch, den das Buch erhält. Dass Mutterschaft und sexualisierte Gewalt endlich literarisch thematisiert werden können, ohne abwertend als „Frauenliteratur“ bezeichnet zu werden. Dass Mareike Fallwickel ein Buch über Wut aus einer weiblichen Sozialisation heraus schreiben kann, ohne vom Feuilleton dafür aus Prinzip zerrissen zu werden, beweist: Im Literaturbetrieb ändert sich endlich etwas.

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