Zwei Jahre lang haben Die Fabrikanten von Linz aus an Exchange Radical Moments! gearbeitet – einem europäischen Festival, das sich das oft leichtfertig verklebte Etikett „neuartig“ wirklich verdient hat. Ermöglicht und zugleich gehörig behindert wurde es durch die Förderung aus dem Programm Culture 2007–2013 der Europäischen Union.
Als am 11. November die französische Künstlerin Béatrice Didier durch Linz schlenderte und Passantinnen ersuchte, sie doch in die Arme zu nehmen, werden einige Augenzeuginnen wohl an den auf den selben Tag fallenden Faschingsbeginn gedacht haben. Auch im mazedonischen Bitola – hier führte der USamerikanische Performer Rob Andrews mitten in der Stadt rituelle Fußwaschungen durch – mag der Gedanke an Karneval aufgetaucht sein. Und in der Tat: Exchange Radical Moments! hat und hatte als europaweites Live Art Festival durchaus etwas Karnevaleskes: das Hinausgreifen über die Grenzen des Alltäglichen, das Ausleben des Exzentrischen mitten im gewohnten Gang der Ereignisse, die Unmittelbarkeit
der plötzlich möglichen Begegnung von Fremden. Der auf einen einzigen Exchange Radical Moments!- Festivaltag zugespitzte Aktionsrausch an Performances und Interventionen von 60 Künstlerinnen mit etwa 300 direkt Beteiligten simultan in elf europäischen Städten am 11. 11. 11. bedurfte einer mehr als zweijährigen Vorbereitung. Von Anfang an war klar, dass es zur Materialisierung der kühnen Idee europäische Partnerinnen brauchen würde – und europäisches
Geld. Schon herauszufinden, welches Förderprogramm das zarte Pflänzchen des heran keimenden Festivals am besten würde gießen können, war eine Herausforderung – aber für die Laiin noch durchaus machbar, wie Wolfgang Preisinger aus dem Fabrikanten-Büro einräumt. Zeitgleich mit dem Förderhäferlgucken begannen die angehenden Festivalmacherinnen damit, sich in Europa nach den notwendigen Co-Organisatorinnen umzusehen. Die Ansprüche und Interessen von fünf Mitveranstalterinnen und zehn weiteren künstlerischen Organisationspartnerinnen wahrzunehmen, auszugleichen und zu berücksichtigen, wurde zu einer fordernden Managementaufgabe. Der größte Brocken aber war zunächst die Akquise und dann die Abwicklung der EU-Förderung. Nach dem mühseligen Erstellen des Antrags kam schließlich der erhoffte grüne Lichtschimmer aus Brüssel. „Wir haben die Förderzusage ausdrücklich deshalb bekommen, weil die beurteilenden Jurymitglieder den innovativen Charakter des Festivals begrüßt haben“, erinnert sich Preisinger. Beim Budgetieren tauchte dann allerdings ein radikaler Widerspruch auf. „Die Europäische Union hat eine ganz eigene Förderlogik, auf die sich ein Festival einlassen muss. Wir alle haben sehr damit zu kämpfen gehabt“, führt er weiter aus, „denn die Wirklichkeit der Kulturarbeit ist dieser Förderlogik diametral entgegengesetzt“. Der Motor des Systems hat einen Namen, und der lautet: Angst. Angst vor Missbrauch, Angst, über den Tisch gezogen zu werden. Diese Angst drückt sich in einer erschlagenden Fülle an Vorschriften und Bedingungen aus. „Es ist geradezu bizarr, zwei Jahre im Vorhinein beispielsweise festlegen zu müssen, wer an welchem Tag zu welchem Zweck und zu welchem Preis von A nach B fliegen müssen wird“, sagt Preisinger. Die Budgetierungsvorschriften bedingen aber nicht nur Aufwand, sondern formatieren die geförderten Projekte auch substanziell mit: Die Systemlogik begünstige das Planen und Abrechnen von klassischen Formaten wie Symposien und Konferenzen mit viel Reiseaufwand, gleichzeitig klagt die EU, dass so wenig formal Neues passiert. Oft genug habe er in nicht nur sprichwörtlich schlaflosen Nächten „das Geld einfach zurückgeben wollen“, sagt Preisinger. Weil so vieles Auslegungssache sei, wisse eine Fördernehmerin nie, ob sie sich noch im Budgetrahmen bewege oder nicht mehr. Nach der Freude über den erfolgreichen Festivaltag naht mit der Abrechnung der zweite Tag der Wahrheit: Allein auf Fabrikanten-Seite sind eine Buchhalterin, eine Linz09-gestählte Controllerin und als Garant für die Rechtmäßigkeit des Zahlenwerks
eine Steuerberaterin beschäftigt. So verschlingen die an die Förderung geknüpften Bedingungen einen nicht unbeträchtlichen Teil derselben. „Der Abrechnungsaufwand steht in keinem vernünftigen Verhältnis zur Fördersumme“, sagt Preisinger, bleibt aber gerecht: „Die Förderzusage der EU war der einzige Hebel für eine Finanzierung des Festivals auch aus österreichischen Quellen. Und ohne die EU hätte es unser Festival nie gegeben.“