Wo fängt Rassismus an? Wie können wir Stereotype wieder verlernen? Und wie müssen wir uns in Zeiten des Rechtsrucks als Gesellschaft positionieren? Fatih Özköseoglu, Charity Putz und Vanessa Spanbauer im Gespräch mit Katja Frey von der Kulturinitiative waschaecht Wels.
Katja Frey: Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft und Sozialisierung sind Nährboden für Rassismus. Aber wo beginnt eigentlich systemische Ungerechtigkeit und wie wirkt sie sich aus?
Charity Putz: Vor meiner Selbstständigkeit war ich selbst lange in Betrieben tätig und da kriegt man schon viel mit, z.B. wenn im Hintergrund Aussagen gemacht werden, wie: “Kann der/die überhaupt deutsch?” Wenn hier niemand eingreift, akzeptieren wir Rassismus. Die Grenze des Sagbaren wird Stück für Stück verschoben.
Vanessa Spanbauer: Ich beschäftige mich sehr viel mit drei Themen, nämlich Politik, Medien und Bildungssystem, und in all diesen Bereichen werden wir beeinflusst. Das beginnt ganz klein. Wir werden eben nicht mit sämtlichen rassistischen Stereotypen geboren, sondern sie werden gelernt. Ein Beispiel sind Schulbücher und wie darin der afrikanische Kontinent bebildert wird. Gezeigt werden Armut, Dörfer, Krieg, Krise. Wir sehen sehr wenige Städte, wir wissen eigentlich über den afrikanischen Kontinent, der sehr groß ist, sehr wenig. Und was wir wissen, beschränkt sich auf diese Stereotype und das beeinflusst Kinder. Wir lernen aber auch nicht wahnsinnig viel dazu. In den Medien werden genau diese Stereotype wiedergegeben und die Politik verstärkt das Ganze. Man muss sich ansehen, was dahinter steht, dass diese ganzen Stereotype da sind und wie sich das auswirkt, am Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, bei Ämtern oder auch medizinisch.
Fatih Özköseoglu: Rassismus fängt schon da an, dass es Menschen gibt, die nur aufgrund eines anderen Passes Steuern zahlen, aber nicht die gleichen Leistungen bekommen. Die Vergaberichtlinien für Wohnungen von Genossenschaften sind in den letzten Jahren so geändert worden, dass viele Menschen, die eine vermeintlich “falsche” Herkunft haben, keine Wohnung bekommen. Das gleiche passiert bei der Wohnbeihilfe. Menschen, die Anspruch auf Wohnbeihilfe hätten bzw. die Zielgruppe wären, werden ausgeschlossen.
Frey: Was brauchen marginalisierte Gruppen im Kunst- & Kulturbereich von weißen Personen und Institutionen für eine bessere Zusammenarbeit?
Putz: Es braucht dazu Role Models. Ich finde es immer schwierig, wenn Weiße etwas veranstalten und verschiedene Kulturen und Nationalitäten sollen mitmachen. Man fühlt sich dann oft nicht angesprochen. Es ist trotzdem immer so, dass dieselben Personen eingeladen werden und sprechen dürfen. Das ist eh super, aber es fehlen andere Personengruppen. Man muss versuchen, Kontaktpunkte zu finden und Verbindungen zu Communities zu schaffen, um mehr Leute zu erreichen.
Özköseoglu: Der Schlachthof als Sozialraum gesehen, reproduziert ungewollt auch gesellschaftliche Dynamiken. Dazu kommt: Vieles am Gelände ist Subkultur. Und ich kann mir vorstellen, dass Subkultur viele Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht Teil von Subkultur sind, abschreckt. Die Frage ist, wie kann ich sie erreichen und die andere Frage ist, will ich sie erreichen.
Spanbauer: Was mir oft bei Institutionen auffällt, ist, dass immer so eine Erzählung erzeugt wird: Wir wollen ja, dass Leute kommen. Aber was vielen Institutionen schwer fällt, ist, sie in unterschiedlichen Formen mitmachen zu lassen. Ich kann mir vorstellen, dass oft der Versuch, Leute einzuladen, nicht erfolgreich ist, weil man bleiben will, wie man ist. Man muss sich auch tatsächlich ändern.
Frey: Die Zugänge in unserem Bildungssystem sind teils hochschwellig und nicht transparent. Welche (unsichtbaren) Hürden gibt es und wie können wir sie – auch als Einzelpersonen – abbauen?
Putz: Ich fände es schön, wenn es in den Schulen Tage gibt, an denen man die Kulturen und Länder einfach einmal kennenlernen kann. Damit man von klein auf lernt: Das sind wir alle und es gibt verschiedene Kulturen, aber trotzdem wird das Verbindende gesucht.
Spanbauer: Der Weg ist ab der Geburt schon festgeschrieben, welche Bildungsmöglichkeiten man hat. Das ist in Österreich ein großes Problem. Wir müssen Menschen die Chance geben, sich in anderen Formen weiterbilden und entwickeln zu können. Alleine kann man das nicht alles ändern, aber man kann fordern, dass es geändert wird – zu schauen, welche Personen welche Chancen haben und welche nicht. Da sind auch Lehrer*innen gefragt. Sie müssen zu diesen Themen aufgeklärt werden.
Özköseoglu: Es wird schon im Kindergarten separiert. Die Herkunft der Eltern bestimmt den Bildungsweg. Der Kapitalismus sagt: “Jede Person kann und wird gefördert.” Aber: Nein, kann und wird sie nicht. So wie das Bildungssystem aufgebaut ist, ist alles genau darauf ausgelegt, ein Prekariat herzustellen: “Wir brauchen Menschen, die keine hohe Bildung haben, damit sie billig viel arbeiten.” Das ist auch rassistisch gefärbt.
Frey: Warum ist es uns als Menschen wichtig, dass wir uns von etwas abgrenzen wollen?
Spanbauer: Kategorisierungen an sich sind ja nicht das Problem. Wir machen das die ganze Zeit. Wer sind wir, was ist mein Familienverband, usw. Das Problem ist die Bewertungsebene, wenn man sagt: Personen, die ich als anders definiere, sind schlechter. Personengruppen werden abgewertet, um sie zu benutzen, z. B. als billige Arbeitskraft. Dabei spielt auch eine Rolle, welche Regionen dieser Erde als nicht wertig zählen und dass dort Menschen, Natur, Ressourcen ausgebeutet werden, paradoxerweise auch die Kultur. Denn: Gegenstände, die dort geschaffen wurden, werden in unseren Museen ausgestellt. Da frage ich mich immer, warum man gewisse Orte und Menschen abwertet und dann aber sozusagen das zu ihnen Dazugehörige aufwertet. Hier muss man sich wieder mit den Konstrukten dahinter auseinandersetzen und das passiert eben systemisch im Bildungssystem, in der Arbeitswelt, in der Politik, in den Medien.
Frey: Gibt es antirassistische Praxen, die euch in letzter Zeit positiv aufgefallen sind?
Özköseoglu: Ich finde, dass aktuell die wichtigste Praxis ist, dass sich Menschen positionieren. Nämlich auch klar gegen diesen rechtsextremen Diskurs und zu sagen: NEIN, finde ich nicht okay. Ich hoffe auch, dass sich in den nächsten Monaten eine Zivilgesellschaft entwickeln wird, Courage gezeigt wird und wir uns auf verschiedenen sozialen Ebenen positionieren: Familie, Arbeit, Umfeld, Umwelt.
Putz: Du hast eh ein super Wort gesagt: Courage, Mitgefühl, Empathie. Ich sage immer: Wir können alle jetzt nicht auf einmal die Welt verändern, aber wenn wir bei uns anfangen und unser Umfeld positiv beeinflussen, kommen wir Schritt für Schritt in die Richtung, in die wir wollen.
Das Gespräch fand ausgehend vom Thema Anti-Rassismus matters im Rahmen der Veranstaltungsreihe The Future Starts Now des Kulturvereins waschaecht Wels statt. Die Reihe wird auf DORFTV übertragen, dort kann man alle Sendungen nachsehen. Nächster Termin: 26.9.2024 zu Mental Health, u.a. mit Lisa-Viktoria Niederberger.