#villach funktioniert auf TikTok, auch wenn der main character Ü40 ist

Junge Leute, die sich am Land in Kulturvereinen engagieren und begeistert zu den angebotenen Veranstaltungen kommen? Sie sind mehr Utopie als Realität. Community Building Austria (C.B.A.) möchte 2025 mit einem zielgerichteten Programm künstlerische und kulturelle Organisationen dabei unterstützen, junge Menschen als Publikum, Teilnehmer*innen und Mitarbeiter*innen anzuwerben. Clar Gallistl von C.B.A. gibt Einblick in die Recherche für das Projekt Next Generation.

2024 sind viele österreichische Kulturvereine über 40 Jahre alt. Oft bedeutet das, dass auch die Vereinsvorstände Ü40, wenn nicht gar Ü60 sind. Aus jahrzehntelangem Ehrenamt und unermüdlicher Kulturarbeit an und unter der Armutsgrenze sind emotionale Bindungen entstanden, die schwer zu öffnen sind. Während die langgediente Leiter*in einer Initiative am Land um das Überleben ihrer Lebensaufgabe kämpft, kommt das bekannte Publikum spätestens seit den Corona-Lockdowns immer mehr abhanden. Der Wunsch nach Nachwuchs im Verein und jüngerem/neuem Publikum vereint Kulturvereine in ganz Österreich. 

Wie erreicht man die Jungen?
„Man muss sich einfach reinfallen lassen!“, fasst Theresa Ziegler, Gründerin der Produktionsfirma Supercute, zusammen. Seit 2024 produziert die ehemalige Chef-Redakteurin der Musik-Magazine TheGap und AUX gemeinsam mit Co-Gründer Oskar Fischer Formate für junges Publikum. „Über TikTok erreiche ich jüngere Zielgruppen am besten, egal ob in der Stadt oder am Land“, so Ziegler. Das Alleinstellungsmerkmal von Supercute: Jugendliche und junge Erwachsene mit authentischem Content erreichen.

Die erste Frage sei, welches Interesse hinter dem Wunsch, junge Leute anzusprechen, tatsächlich steckt. Oft begegnet Ziegler einer arroganten Grundhaltung, in der TikTok und Social Media pauschal als „Blödsinn“ abgetan werden. „Wenn man Social Media blöd findet, kann man Social Media nicht nutzen“, sagt sie. Jugendliche und junge Erwachsene sind nicht dumm. Sie verstehen intuitiv, ob der Content, den sie sehen, ehrlich gemeint ist, oder ihnen nur etwas verkaufen will. Ähnlich sieht das die zwanzigjährige Lilly Thurner, die auch im Kulturbereich tätig ist. Sie wünscht sich von Kulturinitiativen mehr Übersicht: Story-highlights, strukturierte Kuration der Instagram-Feeds und gute Reels. Instagram? Ja. Thurner und ihre Freund*innen haben TikTok vor zwei Jahren gelöscht. „Man wird einfach so abhängig, dass ich mich selbst in Schutz nehmen musste“, so Thurner.

Interessen und Strukturen
Ob TikTok oder Instagram: Im Unterschied zu klassischer Kommunikationsarbeit wie E-Mail-Versand, Flyer und Plakatwerbung ist es in den Kanälen der Jungen wichtig, authentisch zu sein. „Man muss sich der Plattform-Logik annehmen“, ist Ziegler überzeugt. Auf der Plattform präsent zu sein ist ein erstes wichtiges Signal. Doch im zweiten Schritt muss die Plattform-Logik auch erlebt und genutzt werden. „Einfach mal runterladen, TikToker*innen aus der Region folgen und sehen, wie der Algorithmus die foryou-Page kuratiert“, rät Ziegler. Lilly Thurner fände auch gut, junge Erwachsene mit Social Media Agenden auf bezahlter Basis zu betrauen. „Wenn Erwachsene sagen, dass etwas cool ist, kann das auch das Gegenteil auslösen“, lacht sie. Wenn Vereine junge Mitarbeiter*innen suchen, würden Ausschreibungen helfen, die Interesse mehr Gewicht geben als abgeschlossene Ausbildungen.

Junge Leute (Gen Z und Gen Alpha) werden 2024 sehr gut über TikTok erreicht – und das auch, wenn Leute angesprochen werden sollen, die im selben Ort leben und als physische Zielgruppe interessant sind. „Auf TikTok sind Hashtags und Geo-Tags viel wichtiger als auf Instagram oder Facebook“, sagt Theresa Ziegler. Wer regionale Kulturarbeit in Villach macht, sollte auf TikTok  #villach verwenden, um Menschen in Villach anzusprechen. Den Rest erledigt der Algorithmus. Ja, TikTok folgt gewissen Strukturen, die sich auch laufend ändern, aber „wenn ich einen Song schreibe, hat der auch eine gewisse Struktur“, so die Musikexpertin.

Zugänge und Heimat
TikTok ist ein digitales Kultur-Instrument, das genutzt werden kann, um Kulturarbeit zu leisten. Davon ist auch Neneh Muhr, Sozialarbeiterin mit Schwerpunkt Jugendarbeit, überzeugt. Doch Technik-Begeisterung allein reicht nicht, wenn Kulturvereine nachhaltig nach Verjüngung streben. „Kulturelles Kapital wird vererbt. Kunst und Kultur ist auch eine Klassenfrage“, gibt Neneh Muhr zu bedenken. Kulturvereine können den Einstieg auf Social Media und die konkrete Ansprache von jungem Publikum dazu nutzen, die eigene Zugänglichkeit zu überdenken und Anpassungen vorzunehmen. Denn Kulturvereine müssen auch auf jüngere Leute vorbereitet sein, wenn diese einmal vorbeikommen.

Das Projekt „Next Generation“ wird in solchen internen Prozessen Hilfestellung leisten und den Fokus auf das Gemeinsame legen. Generationenkonflikte sind großteils künstlich erzeugt, um Abschottungstendenzen zu normalisieren. Dabei ist der Altersunterschied oft nicht das Problem. Die deutsche Buchhandlung Hugendubel hat etwa mit ihrem Buchhändler Günther einen TikTok-Star hervorgebracht, der an die 60 Jahre alt ist und auf TikTok sympathisch, zugänglich und vor allem: authentisch wirkt. „Traut euch, ihr selbst zu sein!“, gibt uns Theresa Ziegler mit auf den Weg.

TikTok kann ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und Heimat erzeugen. Das wissen wir nicht nur von rechten politischen Kampagnen. Innerhalb linker Communities führen die Sozialen Medien hingegen häufig zu handfesten Zerreißproben. Auch hier bedingt der Wunsch nach Einbindung junger Menschen eine Übersetzungsarbeit, die nur möglich ist, wenn ältere Menschen die eigenen Annahmen loslassen und tatsächlich mit offenem Mindset auf das neue Publikum zugehen.

Kulturvereine und Schulprojekte
Für junge Menschen ist die Schule ein guter Sozialraum, um zu lernen, wie Kunst und Kultur funktionieren, sagt Neneh Muhr und auch Lilly Thurner schlägt als Lösungsstrategie „Schulprojekte“ vor. Während die digitale Welt für Jugendliche eine große Rolle im Alltagsleben spielt, spüren viele eine Distanz zu Kunst und Kultur. Kooperationsprojekte mit Schulen und Jugendzentren könnten Brücken bauen zwischen jungen Menschen und Kulturvereinen. TikTok bietet sich aus Streetwork-Erfahrung gut an, um Informationen weiterzugeben (Stichwort: digitale Jugendarbeit). 

Social Media – Wie es gehen kann
Die Herausforderung ist, aus dem Social Media Auftritt physische Besuche zu machen, meint Neneh Muhr. Im realen Kontakt erleben Jugendliche oft Hemmschwellen, die sie im digitalen Raum nicht empfinden. Helfen könnte das Angebot, eine authentische Beziehung zu einem konkreten Menschen aufzubauen. Im Idealfall ist also ein Kulturverein mit einer authentischen, kreativen Person egal welchen Alters auf TikTok präsent, nutzt Hashtags der Region und lädt zu physischen Partizipationsformaten ein, bei denen Jugendliche wertschätzend und niederschwellig in spannende Kunst- und Kulturprojekte direkt eingebunden werden. Voilá!

4 Tipps zur Ansprache junger Leute

Junge Leute fragen
Lade junge Leute in eine Fokusgruppe ein und frag sie: Wie wollt ihr erreicht werden? Ziel ist es, die Lebensrealität junger Leute kennenzulernen. Die digitale Welt spielt eine große Rolle in ihrem Leben. Sie können Content und Werbung unterscheiden und interessieren sich mehr für Content, der sie ernst nimmt. Bleib offen und sei ehrlich interessiert an allem, was du erfährst. Schulprojekte können eine gute Idee sein.

Ergebnisoffen bleiben
Geh bewusst mit deinen Biases um. Ältere Menschen nehmen leider oft ein Mindset ein, das von außen bzw. von oben herab auf junge Menschen blickt. Sei dir deiner Vorannahmen bewusst und leg sie beiseite. Lass dich überraschen!

Selbsterfahrung: TikToker*innen aus der Region folgen
Lade dir TikTok herunter und folge als erstes TikToker*innen aus deiner Region. Dadurch kuratierst du eine foryou-Page mit Inhalten, die deine junge Zielgruppe konsumiert. „Sich reinfallen lassen“, nennt das Theresa Ziegler. „Eine 40-Jährige hat eine andere Foryou-Page als eine 13-Jährige.“

Mutig und kreativ sein
Sei authentisch DU auf TikTok. Nimm junge Leute ernst und versuche, ihre Hemmschwellen zu erkennen. Viele Jugendliche wachsen mit einem Bild von Kunst und Kultur auf, das ihnen sagt #notforyou. Sei dir nicht zu schade, dieses Missverständnis aus dem Weg zu schaffen.

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