Zuhören

Gemeinsam wohnen, Musik hören und auf Bedürfnisse achten. Von Sofia Jüngling-Badia.

In der Musik abtauchen zu können, ist eine der vielen Gemeinsamkeiten, die ich an mir und meinem Paps sehen kann. Früher, bevor er seine Feinmotorik und sein Kurzzeitgedächtnis an seine Krankheit verloren hat, hat Paps auch selbst musiziert. Heute erzählt er von seiner Zeit im Orchester, und wenn wir klassische Musik hören, kommen seine Begeisterung und Hingabe durch und reißen mich und auch die Mitbewohner*innen unserer inklusiven Wohngemeinschaft mit.

Wir hören Mozarts Klarinettenkonzert. Köchelverzeichnis 622. Das weiß Paps genau. Die Namen unserer Mitbewohner*innen kann er sich oft monatelang nicht merken. 

Seine Augen strahlen, er ist von der Musik gänzlich eingenommen.

Mozarts Klarinettenkonzert mag ich gerne, das ist weniger aufdringlich als sein Requiem oder La Traviata. Dass Paps La Traviata und auch die restliche Musik mittlerweile über iad und Kopfhörer hört, ist für alle eine Erleichterung, besonders mitten in der Nacht.

Die Liebe zur Musik ist aber nicht nur etwas, das Paps und ich teilen, sondern auch etwas, das innerhalb unserer Wohngemeinschaft regelmäßig aufkommt. Unsere Mitbewohner*innen bringen immer wieder frischen Wind ein. Eine Zeit lang wurde am Balkon gerappt und gefreestyled oder bei Lagerfeuern auf der Gitarre geklimpert. Paps ist am liebsten mitten drin, in der Musik und im Trubel. Oder auf der Couch, wenn wir an Winterabenden vor dem Kamin den ”größten Werken der Musik”, wie Paps sie nennt, lauschen. Und manchmal ist die Musik auch mein letztes Ass im Ärmel, sie glättet die Wogen und bringt wieder Ruhe ins Haus und die Gemüter.

Zuhören ist nicht nur für die Musik und deren gemeinsame Auswahl ein wichtiges Stichwort. So wie ich gewisse Stücke der Klassik verabscheue, hat auch Paps seine No-Gos, die er abschätzig als “bumm bumm bumm und baby baby, love love” bezeichnet.

Zuhören ist ein ziemliches Um und uf im Zusammenleben. Oft muss es mit viel Hingabe und Feingefühl gemacht werden, ebenso, wie wir von Paps lernen, Mozarts Klarinettenkonzert zu hören. So kann auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und (Musik)Wünsche eingegangen werden und ein Miteinander gelingen.

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