Presseaussendung der Kulturplattform Oberösterreich – KUPF OÖ vom 21.11.2019

Zahlen und Fakten zur Podiumsdiskussion NACKT

„Das, was wir hier im Kunst- und Kulturbereich sehen, ist nur die Spitze des Eisbergs und Vorläufer für viele weitere Berufssparten. Unser Sozialversicherungssystem ist darauf angelegt, dass Menschen dauerhaft und auf lange Zeit durchgehend beschäftigt sind – das ist mittlerweile allerdings die Ausnahme.“ Veronika Bohrn Mena, Gewerkschafterin und Autorin

Während andernorts mit Spannung auf die Entscheidung gewartet wurde, welche österreichische Stadt bzw. Region 2024 den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ tragen darf, wurde am 12.11.19 im Musiktheater Linz bei der Podiumsdiskussion NACKT darüber diskutiert, wer diese Megaevents mit Inhalten füllt und vor allem: zu welchen Bedingungen.

Eröffnet wurde die Gesprächsrunde mit der Poetry Slammerin & Reisepoetin Mieze Medusa. In ihren Texten beschwor sie unter anderem gesellschaftliche Solidarität. Sepp Wall-Strasser / Bildungssekretär ÖGB OÖ, lieferte zur Begrüßung einen kurzen Rückblick: Auch im ÖGB hatte die Kultur schon einmal einen höheren Stellenwert, erinnert er: als Bildungssekretär ist er seit 1991 für das Referat „Bildung, Freizeit und Kultur“ tätig. „Zuerst wurde ,Freizeit‘ gestrichen, dann die ,Kultur‘ – jetzt ist noch ,Bildung‘ übrig.“

Einen weiteren Zugang bildet für Sepp Wall-Strasser die Arbeit am Kulturentwicklungsplan Gallneukirchen – ein Luxus quasi für eine so kleine Stadt. Beschämend sei es, erinnert er an eine Diskussion über das Honorar für ein Logo, darüber reden zu müssen, ob die EinreicherInnen dafür 50, 100 oder 150 Euro bekommen sollten. „Man geht einfach davon aus, dass dies irgendjemand so nebenbei macht. Diese Einstellung denke ich, ist gemeinhin über alle Parteien hinweg der Zugang.“ Und ein letzter politischer Zugang: „Natürlich hat das System, eine Freie Szene nicht zu fördern und KünstlerInnen in eine Abhängigkeit zu bringen. Das ist auch eine Folge von reaktionären Tendenzen. Dem gilt es unseren Widerstand entgegenzusetzen, wir brauchen wieder Mut zur Provokation.“

Verena Humer / KUPF OÖ erinnerte zur Begrüßung an bereits bestehende Richtlinien wie „Fair Pay“, an die sich kaum jemand halten würde. „Kulturarbeit ist Arbeit und muss auch von Politik und Gesellschaft als solche anerkannt und entlohnt werden.“ Es gebe allerdings im Bereich der Freien Szene oder der Neuen Selbstständigen keine Betriebsräte, keine Kollektivverträge – dafür sehr viel Ehrenamt und atypische Beschäftigungsmodelle – was schließlich zu Altersarmut und Versicherungslücken führt. Dieses Phänomen der prekären Arbeitsmodelle erstreckt sich mittlerweile auch auf klassische Berufsgruppen. „Mehr als 10% der Beschäftigten befürchtet, innerhalb der nächsten 6 Monate ihren Job zu verlieren.“ zitiert Humer Veronika Bohrn Mena. Abschließend meint Humer über die Veranstaltung, für die es erstmals eine Kooperation aus Gewerkschaften, Interessenvertretungen der freien Kunst- und Kulturszene und dem Musiktheater gab: „Ein immer größerer Personenkreis lebt nun die Ungewissheit, derer sich Kulturschaffende seit jeher ausgesetzt sehen. Nicht nur darum ist es höchste Zeit für einen Dialog zwischen Gewerkschaften und Interessensvertretungen der Kunst und Kulturschaffenden. Am wichtigsten ist aber: es darf nicht beim Dialog bleiben, es müssen Taten folgen!“

Die Diskussion warf sehr viele Unzulänglichkeiten, Stolpersteine und Kuriositäten des Versicherungs- und Arbeitslosensystems für Neue Selbstständige und Kulturarbeiter*innen auf. Die Forderungen und auch konkrete Vorschläge liegen bereits am Tisch. Gewerkschaften und Interessenvertretungen werden hier weiter zusammenarbeiten und planen ein Podium mit EntscheidungsträgerInnen aus Politik und den zuständigen Stellen. Denn klar ist, dass sich ohne Teilhabe der Zuständigen strukturell nicht viel bewegen wird. Ein rasch umsetzbarer Fortschritt könnte aber etwa sein, dass man bei der Vergabe von Förderungen, der Erarbeitung des neuen KLB und bei Aufträgen der Stadt Linz oder des Landes OÖ an Kulturschaffende, die Fair Pay Richtlinien auch aktiv und zwingend einhält. Denn wenn man zuhause einen Wasser-Rohrbruch hat, versucht man den Installateur auch nicht noch um 50% runterzuhandeln – ganz abgesehen davon, dass der für einen Stundensatz unter Mindestlohn auch gar nicht kommen würde.

Die gesamte Diskussion ist nachzusehen unter: https://dorftv.at/video/32204

Zahlen und Fakten aus der Diskussion

Unter den EPUs erwirtschaften Frauen durchschnittlich weniger als 15.000€ Jahreseinkommen netto, mit so einem geringen Einkommen ist die freiwillige Arbeitslosenversicherung in der SVA natürlich nicht finanzierbar. Zu EPUs zählen viele Personen aus dem Kunst und Kulturbereich, wie bildende KünstlerInnen, Filmemacherinnen, aber auch Frisörinnen, Pflegerinnen u.a. Österreichweit arbeiten 9% der EPUs im Bereich Kunst. Krankengeld bekommt man nicht ab dem ersten, sondern erst ab dem 43. Tag der Krankheit, das sind dann 25€ pro Tag, für die man als Neue Selbstständige durch den fehlenden Arbeitgeberbeitrag höhere Versicherungs-Beiträge zahlt als Angestellte. Ein Drittel der ArbeitnehmerInnen in Österreich sind nicht mal ein Jahr lang durchgehend beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt. Neue Selbstständige fallen unter das GSVG, Angestellte unter das ASVG, Freie DienstnehmerInnen fallen zwar auch ins ASVG, gelten aber steuerrechtlich als selbstständig und liegen damit zwischen Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit. Als Künstlerin ist man per Gesetz automatisch selbstständig und dadurch automatisch UnternehmerIn, auch wenn das oft nicht der Lebensrealität entspricht. Um den Künstlersozialversicherungsfonds überhaupt in Anspruch nehmen zu können, muss man 1. von einer Kommission als „KünstlerIn“ beurteilt werden, 2. mindestens 5.361,72€ pro Jahr aus der selbstständigen Tätigkeit verdienen (gibt man als Malerin noch zusätzlich Musikunterricht fällt man allerdings automatisch aus dem Ksvf raus!) und 3. nicht mehr als 29.042,65€ pro Jahr verdienen.

Es gibt in Österreich rund 300.000 Menschen die sowohl selbstständig als auch unselbstständig arbeiten und somit auch mehrfach versichert sind. Sie sind weder an die AK noch an die WKO angebunden und haben daher keine gesetzliche Interessensvertretung. Aufgrund des Kartellverbots dürfen sich Unternehmer/Neue Selbstständige aber auch nicht über die Höhe ihrer Honorare absprechen können somit schwer als Kollektiv vorgehen.

O-Töne der Diskutantinnen:

„Als Normalsterblicher hat man kaum Chance darauf, bei dem bestehenden Versicherungs- oder Steuergesetz durchzublicken. Die Stolperfallen fußen im Sozial- und Arbeitsrecht, denn hier gibt es keine allgemeine Definition der Begriffe Kunstschaffende und KünstlerInnen. Man wird beim ArbeitnehmerInnen-Begriff nachschärfen müssen.“ Birgit Waldhör, AK

„Oft kommt es zu falschen Rechtsanswendungen, da meist mehrere Institutionen wie SVA, AMS, GKK, KsVf u.a. auf einmal involviert sind. Das lässt sich einfach mit einer Gesetzesänderung lösen.“ Tanja Iljkic, BMF

„Meine Generation hetzt zwischen zu wenig Geld und zu wenig Zeit für die Kunst. Planbarkeit gibt es nicht.“ Inga Hehn, Bildende Künstlerin

„Es gibt kein Sprachrohr oder Kollektiv für Neue Selbstständige oder freischaffende KünstlerInnen, das macht es sehr schwierig hier für Verbesserungen einzutreten. Eine AuftraggeberInnen-Abgabe, wie in Deutschland, wäre ein guter Anfang.“ Patrice Fuchs, vidaflex

„Wir sind weder an die AK noch an die WKO angebunden. Das führt zu der neoliberal gewünschten Entsolidarisierung. Wir sind es gewohnt, Einzelkämpferinnen zu sein, die nicht über das Geld reden.“ Dominika Meindl, GAV OÖ

„Unser Sozial- und Arbeitslosensystem ist sehr leistungsfeindlich. Die Abgaben für Einzelpersonen sind so hoch, dass man bemüht darum ist, nicht über die Einkommensgrenze für die Versicherungspflicht zu kommen. Als Kulturschaffende ist das bei den Löhnen, – es gibt hier keine Mindestlöhne – , aber auch nicht sehr schwierig.“ Mieze Medusa, Poetry Slammerin

Rückfragen an Verena Humer: 0676 7228 750

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