Was bringt die neue Regierungskoalition aus ÖVP, SPÖ und NEOS der freien Szene? Im Podcast Kulturtransfer wirft Thomas Auer einen Blick auf das Kultur-Kapitel.
Das Kultur-Kapitel des Regierungsprogramms umfasst sechs Seiten mit insgesamt 19 Überschriften. Neben Bekenntnissen zur zeitgenössischen Kunst und Geschlechtergerechtigkeit stechen zwei Punkte hervor: Die „Weiterentwicklung der Fair-Pay-Strategie in Richtung Förderbedingungen“ sowie ein klares Ziel, Kulturinitiativen in den Regionen strukturell besser zu unterstützen.
Die Reaktionen aus der Szene sind verhalten optimistisch. Die IG Kultur hebt positive Akzente in Richtung Club- und Jugendkultur hervor, die KUPF OÖ betont die langjährige Forderung nach einer stärkeren regionalen Mittelverteilung. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wie realistisch sind diese Vorhaben vor dem Hintergrund einer angespannten Budgetlage?
0,1 % für Kultur – Anspruch und Realität
Aktuelle Zahlen zeichnen ein ernüchterndes Bild: Nur 0,1 % des Bundesbudgets fließen in den Kulturbereich – im Jahr 2023 waren das rund 155 Millionen Euro. Von diesen Geldern gehen laut KUPF OÖ 76 % nach Wien, nur 2 % nach Oberösterreich. Diese strukturelle Schieflage ist kein neues Phänomen, wird im Regierungsprogramm aber explizit adressiert. Angestrebt wird u. a. die Stärkung kultureller Infrastruktur im ländlichen Raum sowie die bessere Nutzung von Leerständen für kulturelle Zwecke.
Doch viele dieser Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Laut derStandard.at fehlen im Bundeshaushalt insgesamt rund 15 Milliarden Euro, sechs davon sollen noch 2025 eingespart werden. Wie sich diese Budgetkonsolidierung auf den ohnehin chronisch unterfinanzierten Kulturbereich auswirkt, ist völlig offen.
Fair Pay: Fortschritt oder neue Hürde?
Das Regierungsprogramm bekennt sich zur fairen Bezahlung von Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen – ein Ziel, das in der Szene breite Unterstützung findet. ÖVP, SPÖ und NEOS betonen jeweils ihre Bereitschaft zur Umsetzung: Ob durch Entbürokratisierung, durch Monitoring und langfristige Verträge oder durch strukturierte Förderbindungen und interministerielle Abstimmungen.
Für viele Vereine stellte sich aber immer schon die Frage, wer die Verantwortung trägt, wenn Fair Pay zur Förderbedingung wird. Der Bund? Die Länder? Oder die ohnehin oft unterfinanzierten Kulturvereine? Fair Pay könnte, wenn nicht mit zusätzlichen Mitteln abgesichert, genau jene Projekte gefährden, die man eigentlich stärken will. Denn die Situation in vielen Vereinen ist so prekär, dass Fair Pay bei weitem nicht gewährleistet werden kann und das Angebot drastisch reduziert werden müsste oder gar nicht umgesetzt werden könnte.
Laurenz Pöttinger (ÖVP) betont, dass die besonderen Erwerbsrealitäten und die damit einhergehenden arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssten. Dazu sollte eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet werden. Bundesförderungen sollen an die Einhaltung von arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen und angemessene Bezahlung gebunden werden.
Katrin Auer (SPÖ) geht davon aus, dass die Fair-Pay-Strategie der Vorgängerregierung konsequent fortgesetzt wird. Es darf dabei aber nicht zu Förderkürzungen oder unfairen Umverteilungen kommen, so dass am Ende des Tages weniger Fördernehmer*innen bedient werden würden, wenn Fair Pay zur Bedingung wird.
Gertraud Auinger-Oberzaucher (NEOS) weist darauf hin, dass der Punkt im Detail noch ausformuliert gehört, damit es zu keinen missverständlichen Interpretationen kommen kann.
In allen Gesprächen zeigt sich: Der politische Wille scheint vorhanden – doch konkrete Umsetzungsschritte bleiben vage oder an künftige Budgetspielräume gekoppelt. Auch eine verstärkte Koordination zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist bislang nicht erkennbar institutionalisiert.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Das neue Kultur-Kapitel liest sich ambitioniert – vielleicht ambitionierter als je zuvor. Doch genau darin liegt ein Risiko: Wenn die formulierten Ziele nicht mit entsprechenden Mitteln, tragfähigen Strukturen und klarer Verantwortung unterlegt werden, droht ein Rückschlag. Besonders deutlich zeigt sich das in der Fair-Pay-Debatte, die zur Belastungsprobe werden kann. Das politische Versprechen einer fairen Bezahlung verlagert die Verantwortung zunehmend auf strukturell unterfinanzierte Vereine. Anstatt die Forderung weiterhin an die politischen Entscheidungsträge*rinnen zu richten, geraten vermehrt die Vereine in ihrer Rolle als Arbeitgeber*innen unter Druck – obwohl sie weder über die nötigen finanziellen Mittel noch über stabile Rahmenbedingungen verfügen, um Gehaltsverhandlungen auf Augenhöhe zu führen.
So droht die Debatte nicht nur ins Leere zu laufen, sondern auch die Szene selbst zu spalten. Gerade dort, wo Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innen-Rollen ineinander übergehen, birgt die Fair-Pay-Debatte sozialen und strukturellen Sprengstoff. Häufig engagieren sich Menschen innerhalb der freien Szene in mehreren Vereinen und wechseln dabei auch die Rollen: Kolleg*innen in einem Projekt werden im nächsten zu Arbeitgeber*innen – oder umgekehrt.
Insbesondere bei jüngeren Kulturarbeiter*innen ist das Bewusstsein für faire Bezahlung gewachsen. Wenn wir künftige Generationen für die freie Szene gewinnen wollen, gilt es, diese positiven Entwicklungen zu stärken und gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Die Forderung nach fairer Bezahlung sollte dabei wieder verstärkt an die Politik gerichtet werden – denn eine nachhaltige Lösung kann nur auf bundesweiter Ebene gelingen.
Wer Fairness und regionale Vielfalt will, muss die Verteilung der Mittel grundlegend neu denken. Und wer Planungssicherheit für Kulturarbeit schaffen will, muss Fair Pay nicht nur fordern, sondern finanzieren.
Die Kulturtransfer-Folge mit den Interviews zum Thema „Regierungsprogramm IN REAL LIFE
Quellen:
https://kulturrat.at/kulturpolitik-zur-wahl-positionen-der-parteien-2024
https://www.fairpaykultur.at/handlungsauftrag-fair-pay-fair-play-pflichtenheft-der-naechsten-bundesregierung/
https://igkultur.at/politik/einschaetzungen-zum-regierungsprogramm
https://igkultur.at/politik/zu-den-kunst-und-kulturvorhaben-der-bundesregierung
https://kupf.at/blog/appell-an-die-regierungsverhandlungen-zu-kunst-und-kultur/https://www.derstandard.at/story/3000000263434/sieben-zahlen-die-man-kennen-muss-um-oesterreichs-budgetmisere-zu-verstehen
https://www.nachrichten.at/kultur/andreas-babler-kultur-heisst-zugang-leistbarkeit-und-angebote-fuer-alle;art16,4045967#ref=rss