Warum eine realistische Repräsentation von Menschen mit Behinderungen in den Medien wichtig ist und was es dafür braucht. Von Rea Strawhill.
Erst vor wenigen Monaten, kurz vor dem internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, wurden in der Sendung „Wetten, Dass“ von Moderator Thomas Gottschalk ableistische Aussagen gegenüber einem jungen Teilnehmer im Rollstuhl getätigt. „Du bist an den Rollstuhl gefesselt und trotzdem ein ganz aufgewecktes Kerlchen“, äußerte Gottschalk, als sei er erstaunt darüber, dass Menschen im Rollstuhl auch aufgeweckt und fröhlich sein können, bevor er ihn vor einem Millionenpublikum über seine medizinischen Diagnosen ausfragte. Das Studio war außerdem nicht barrierefrei gestaltet, sodass der Bub sich mit seinem Rollstuhl nicht frei bewegen konnte. Und das in so einer hochkarätigen Produktion, in der es am Budget sicher nicht hätte scheitern dürfen.
Buchstäblich an den Rollstuhl gefesselt war der Bub übrigens nicht – die Formulierung ist ein oft verwendeter, aber veralteter Ausdruck, der zeigt, wie Menschen über Hilfsmittel denken: als seien sie eine Last, die Menschen “ankette”. Dabei verhelfen Hilfsmittel wie Rollstühle, Gehstöcke oder Hörgeräte Menschen zu mehr Freiheit und Teilhabe.
Repräsentation schafft Realität
Klischeehafte Darstellung von Menschen mit Behinderungen verfestigen Stereotype. Menschen mit Behinderungen sind nicht entweder nur machtlose Opfer ihrer tragischen Schicksale, die Mitleid verdient haben, noch sind sie nur inspirierende Held*innen, wenn sie ihre Behinderungen überwinden konnten. Menschen mit Behinderungen sind viel mehr als das. Sie dürfen dazwischen existieren, in Graustufen und in Ambivalenzen, die uns als Menschen ausmachen. Menschen mit Behinderungen dürfen imperfekt sein, unvernünftig oder brav, laut oder leise, bunt oder eintönig. So wie nichtbehinderte Menschen eben auch. Denn: Menschen mit Behinderungen stellen die größte Minderheit dar – zu der jede*r jederzeit gehören kann. Jeder Mensch kann sich im Laufe des Lebens eine Behinderung zuziehen. Deshalb: so divers wir Menschen sind, so divers ist die Gruppe der Menschen mit Behinderungen. Warum wird sie aber oft eindimensional dargestellt?
Strukturelle Barrieren
Menschen mit Behinderungen haben weniger Zugang zu Bildung und sind im Arbeitsmarkt oft ausgeschlossen. Ihre Meinungen und Perspektiven werden aber gebraucht. In Direktionen, in der Software-Entwicklung, der Medizin und auch in Redaktionen. Zu Themen über Behinderung sollen die Personen zu Wort kommen, die selbst betroffen sind: Nichts über uns, ohne uns! Sichtbarkeit schafft zudem Möglichkeiten, die für junge Menschen Türen öffnen können. Was könnte es für Kinder bedeuten, im Fernsehen Ärzt*innen zu sehen, die im Rollstuhl sitzen? Lehrer*innen, die blind sind? Unternehmer*innen, die gehörlos sind?
Menschen mit Behinderungen haben Talente und Fähigkeiten. Die fehlende Sichtbarkeit davon führt dazu, dass ihnen diese Fähigkeiten oft nicht zugetraut oder gar abgesprochen werden, was es wiederum schwerer macht, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Die Sichtweisen von Betroffenen, auch im Hinblick auf Barrierefreiheit, fehlen daher oft in den Produkten, die wir konsumieren. Ein Teufelskreis.
Barrierefreiheit ist ein Grundrecht
Wenn man einmal dafür sensibilisiert ist, fällt es überall auf: unsere Medienlandschaft ist nicht sehr barrierefrei gestaltet. Untertitel gibt es fast nur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, oft fehlen Bildbeschreibungen oder es wird nicht ausreichend auf Lesbarkeit und Farbkontraste geachtet und Formate in leichter Sprache sind Mangelware. Unsere Medienlandschaft ist für viele Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich. Dadurch werden Menschen mit Behinderungen nicht nur von den Medien, sondern auch von politischer Teilhabe ausgeschlossen. Wer nicht gut informiert ist, kann auch nicht gut mitbestimmen. Medien signalisieren durch ihre fehlende Barrierefreiheit: „Es interessiert uns nicht, ob ihr unsere Programme konsumieren könnt. Holt euch eure Informationen oder eure Unterhaltung woanders.” Dieser Ausschluss tut nicht nur weh, er ist auch fatal: Nur gut informierte Menschen können auch gute Entscheidungen für sich und ihr tägliches Leben treffen. Von Umweltkatastrophen über Eilmeldungen bis hin zu politischen Informationen im Rahmen von Wahlen: Informationen müssen für alle zugänglich sein. Auch wenn es dafür bereits Gesetze gibt, bis diese in Kraft treten, dauert es noch. Obwohl Barrierefreiheit etwas ist, von dem wir alle profitieren, wird dessen Wert noch viel zu wenig erkannt und geschätzt.
Lasst Betroffene zu Wort kommen
Menschen mit Behinderungen haben es verdient, abseits von Stereotypen und veralteten Vorstellungen zu existieren. Wir haben es verdient, am Leben teilzuhaben und auf eine Weise dargestellt zu werden, die uns nicht weiter marginalisiert. Wir haben es verdient, gehört zu werden und wir haben es verdient, Teil der öffentlichen Wahrnehmung zu sein. Wir sollten und können Exklusion ein Teil der Vergangenheit sein lassen.
Was ist ‘Ableismus’ genau? Nachzulesen in der Rubrik Splitter.