Mentale Gesundheit, Leistungsdruck und die Kulturarbeit: Katja Frey im Gespräch mit Gloria Amesbauer, Lisa-Viktoria Niederberger und Kushtrim Alili über Offenheit, Arbeitsbedingungen und den Umgang mit Ruhe und psychischen Krankheiten.
Katja Frey: In der künstlerischen Arbeit öffnet man sich oft und spricht über persönliche Themen wie Depressionen. Welche Erfahrungen habt ihr dabei gemacht?
Lisa-Viktoria Niederberger: Bei mir überwiegen die positiven Erfahrungen. Es ist schön, wenn Leser*innen oder das Publikum sich in meinen Worten wiederfinden und fühlen, dass ihre eigenen Gefühle und vermeintlichen Schwächen valide sind. Andererseits gibt es die Sorge, dass Offenheit über depressive Phasen Skepsis bei Vertragspartner*innen wie Veranstalter*innen oder Verlagen auslösen kann. Sie könnten mich als Risiko sehen – etwa wegen Unzuverlässigkeit bei Abgaben oder Auftritten. Das zeigt, wie wichtig Inklusion im Kulturbetrieb ist.
„Ich bin so depressiv, dass ich nicht auftreten kann“ ist keine akzeptierte Erklärung für eine Absage. In 95 % der Fälle zwinge ich mich dann, zu arbeiten. Wenn es nicht geht, sage ich lieber, ich habe eine Grippe – weil ich nicht stigmatisiert werden will. Ich wünsche mir ein Klima im Kulturbetrieb, in dem man offen über Depressionen sprechen kann, ohne lügen zu müssen. Dass psychische Erkrankungen genauso akzeptiert werden wie körperliche, mit Flexibilität bei Terminen und Vertretungen.
Gloria Amesbauer: Ich finde es spannend, dass der Kulturbetrieb, besonders für Selbstständige, extrem prekär ist und oft zur Burnout-Fabrik wird. Man arbeitet ständig an der Grenze, kann sich aber vielleicht nicht einmal die Miete leisten. Das ist absurd. Gleichzeitig sind viele Menschen, die im Kultur-, Performance- und Kunstbereich arbeiten, neurodivers. Sie müssen lernen, sich selbst zu organisieren und finden oft in der Selbstständigkeit den passenden Raum, auch wenn es schwer ist.
Mein Technical Rider (Anforderungen vor einer Veranstaltung) enthält mittlerweile auch einen Accessibility-Absatz für z. B. einen adäquaten Rückzugsort. Das hineinzuschreiben war am Anfang schwierig, weil ich das Gefühl hatte, arrogant zu wirken, wenn ich ein eigenes Zimmer verlange. Aber ich lerne, klarer zu kommunizieren und mir selbst zu vertrauen.
Ein Tipp an Veranstaltende: Ich habe viele Rider anderer Artists gelesen und mitbekommen, wie Veranstaltende sich über „zu viele“ oder „merkwürdige“ Anforderungen beschweren. Man weiß nicht, warum jemand z.B. eine Nasendusche braucht – aber solche Dinge können entscheidend sein, damit ein Auftritt überhaupt möglich ist. Meinen Rider ernst genommen zu wissen, ist für mich die Grundvoraussetzung, um meinen Job weiterhin machen zu können.
Frey: Wird Mental-Health in Schulen, Unis und am Arbeitsplatz zu wenig behandelt? Was könnte man verbessern? Wären ein eigenes Schulfach oder Rückzugsräume an Schulen sinnvoll?
Kushtrim Alili: Bildung und Schule brauchen dringend eine Reform. Mental Health muss unbedingt in die Schule. Was ich an meiner Schule vermisst habe: Räume zum Zurückziehen. Safer Spaces für Schüler*innen und Workshops sind super. Diese Workshops bieten einen möglichst sicheren Raum, um über Erfahrungen und Diskriminierung zu sprechen – das gehört zur psychischen Gesundheit dazu. Bis ein neues Schulfach kommt, dauert es wahrscheinlich lange, aber Workshops gibt es schon und sollten verstärkt werden.
Frey: Was verursacht bei den meisten Menschen heute den größten mentalen Druck?
Amesbauer: Ich bin nicht-binär in einer extrem transphoben Welt, werde weiblich gelesen und erfahre Sexismus. Das sind für mich die Hauptgründe für meine Symptome. Mentale Gesundheit ist politisch – nicht nur, weil Politik sie oft ignoriert, sondern weil wir uns in einer Welt, die brennt, zuhause fühlen sollen, was kaum möglich ist. Das betrifft nicht nur meine Identität, sondern auch andere belastende Umstände.
Alili: Der Druck, ständig performen und leisten zu müssen, ist groß – besonders durch Social Media und das Internet. Dort sieht man viele utopische Bilder und Videos von Leben, die kaum realistisch sind. Gerade jüngere Menschen vergleichen sich damit und fühlen sich unter Druck, genauso sein zu müssen. Deshalb ist Medienkompetenz so wichtig: Zu erkennen, dass nicht alles, was online gezeigt wird, der Wahrheit entspricht. Das würde viel Druck nehmen. Außerdem braucht es mehr Profile und Vorbilder, die ehrlich zeigen, wie sie wirklich sind.
Frey: Was macht ihr am liebsten, wenn ihr gestresst seid und einfach abschalten wollt?
Niederberger: Kapitalismuskritik. Spazieren gehen mit einem guten Hörbuch.
Amesbauer: Reels konsumieren [Kurz-Videos für Social Media].
Alili: Musik hören.
Frey: Wie würdet ihr ein Gefühl von „sich richtig gut fühlen“ beschreiben? Welche Bedingungen oder Umstände braucht es dafür?
Niederberger: Auf individueller Ebene fühle ich mich gut, wenn meine Grundbedürfnisse gedeckt sind: Ich bin ausgeschlafen, gesund, geistig und kreativ voll da. Wenn ich zum Beispiel einen produktiven Schreibtag habe und am Ende den Laptop zuklappe mit dem Gefühl: Das war relevant, das war mein Anspruch, das war ein Stück von mir.
Wichtig ist für mich auch, ohne ökonomischen Druck arbeiten zu können – was keine Selbstverständlichkeit ist. Ich merke immer wieder, wie sehr dieser Druck blockieren kann. Ich schreibe, Punkt. Und das geht nur, weil ich mir vorher, vor allem durch Literaturpreise und Stipendien, einen finanziellen Puffer aufbauen konnte. Jetzt, da ich aus einem Raum wirtschaftlicher Sicherheit heraus arbeite, merke ich: Mir geht es eigentlich immer gut, solange ich weiß, dass ich sicher bin.
Amesbauer: Ich fühle mich gut, wenn ich das Gefühl habe, Teil dieser Welt zu sein – wirklich teilzuhaben. Das passiert gar nicht so oft. Begegnungen mit anderen Menschen können manchmal viel Energie kosten, aber geben eben auch wichtige Energie.
Am besten fühle ich mich, wenn genau dieser Moment entsteht: wenn im Miteinander etwas entsteht, ein gemeinsamer Drive. Dann spüre ich, dass ich wirklich dazu gehöre.
Alili: Ich fühle mich dann richtig gut, wenn ich freie Zeit für mich habe – zum Beispiel fürs Gym oder für einen Spaziergang. Genauso schön ist es, wenn die Arbeit wieder losgeht: Ich habe Spaß daran, meinen Beitrag zu leisten. Am meisten Wohlbefinden empfinde ich, wenn ich mich mit ganzem Herzen für Themen einsetzen kann, die mir wirklich wichtig sind.
Das Gespräch fand ausgehend vom Thema Mental Health im Rahmen der Veranstaltungsreihe The Future Starts Now des Kulturverein waschaecht Wels statt. Die Reihe wird via Livestream übertragen und kann auf dem YouTube-Kanal vom Kulturverein waschaecht Wels nachgesehen werden.