Journalismus für alle

Warum Journalist*innen arbeiten, wie sie arbeiten. Und warum das ein Problem ist. Von Lisa Kreutzer.

Im Herbst 2023 saß ich mit Kolleg*innen eines anderen österreichischen Mediums im kleinen Büro von andererseits in Wien. Meine Kolleg*innen mit und ohne Behinderungen von andererseits gaben ihnen einen Workshop zu Barrieren in der Berichterstattung und einfacher Sprache. Erfahrene und erfolgreiche Journalistinnen saßen zusammen und diskutierten über ihre Arbeit. Ein Teil des Workshops war: Reflektieren, warum wir so schreiben, wie wir schreiben. Warum wir so erzählen, wie wir erzählen. Warum wir oft lange Sätze konstruieren und Fremdwörter einbauen, an Stellen, an denen wir auch viel einfacher schreiben könnten. Ein Kollege mit Lernschwierigkeiten fragte die Journalist*innen, wen sie adressieren wollen, wenn sie komplizierte Sätze formulieren. Ihn erreichten sie damit nämlich nicht.

Ein bekannter Journalist antwortete nach einigem Überlegen, dass Fremdwörter für ihn der Weg sind, zu zeigen, dass er berechtigt ist, zu schreiben und zu erklären. Dass er dazugehört, in das exklusive und umkämpfte Berufsfeld des Journalismus. Ich fand mich darin wieder: In meinem Studium baute ich ganze Hausarbeiten rund um Fremdwörter, um zu zeigen, dass ich mithalten kann in einer Welt, in der Machtverhältnisse auch durch das Abheben von anderen aufrechterhalten werden.

Einfache und leichte Sprache

Meine Hausarbeiten haben keinen großen Schaden angerichtet, gelesen wurden sie eh höchstens von einer Handvoll Menschen. Im Journalismus sieht es aber anders aus: Wir Journalist*innen haben einen öffentlichen Auftrag. Wir sollen alle Menschen ausgewogen informieren, als Grundlage für Entscheidungen für unsere Demokratie. Das schaffen wir aber kaum.

In Österreich sind rund 700.000 Menschen auf einfache und leichte Sprache angewiesen, um schwierige Zusammenhänge voll erfassen zu können. Das Feld hat der Qualitätsjournalismus größtenteils dem Boulevard überlassen. Aber komplizierte Sprache ist nicht die einzige Hürde. Menschen mit Sehbehinderungen beispielsweise nutzen Screenreader – sie lesen Inhalte der Seiten vor. Lässt man Screenreader über die Online-Auftritte der großen österreichischen Medien laufen, ploppen bei den meisten dutzende rote Fehlermeldungen auf, weil sie nicht ausreichend barrierefrei sind. Für sehbehinderte Menschen ist der Journalismus so nicht nutzbar. Für Menschen mit Hörbehinderungen können wiederum fehlende oder fehlerhafte Untertitel große Barrieren sein. Eine ganze Zielgruppe wird dabei einfach nicht mitgedacht. Und das obwohl rund 18 Prozent der österreichischen Bevölkerung mit Behinderungen leben.

Diese Barrieren für Menschen mit Behinderungen im Journalismus ergeben sich auch daraus, dass genau sie kaum als Journalist*innen arbeiten.

Im Jahr 2020 erfüllten von 20 Medienhäusern nur fünf die gesetzlichen Vorgaben des Behinderten-Einstellungsgesetzes – das hat andererseits mit DOSSIER recherchiert. Wie soll der Journalismus die Welt so zeigen, wie sie ist, wenn immer ähnliche Menschen an den Redaktionstischen sitzen? Wenn die großen Entscheidungen überwiegend immer noch von weißen, nicht-behinderten Männern und manchmal Frauen getroffen werden. Inklusiver Journalismus ermöglicht allen Menschen den Zugang zu und die Nutzung von Medien. Diese Art der Teilhabe ist ein grundlegendes Recht. Diverse Teams treffen die besseren Entscheidungen, sie denken mehr Menschen mit.

Inklusion im Journalismus bedeutet aber auch, dass wir als Branche beschließen, die UN-Behindertenrechtskonvention ernst zu nehmen. Journalismus ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Er erzählt von uns, er beschreibt, hält fest, was passiert, stellt unterschiedliche Meinungen gegenüber, treibt Dialog an. Das alles tut er im Idealfall. Umso mehr haben journalistische Redaktionen die Aufgabe, so divers zu sein, wie es unsere Gesellschaft ist. Denn nur dann erzählen die Redaktionen wirklich davon, was es bedeutet, in dieser Welt zu leben. Nur dann treffen Medienhäuser Entscheidungen, die Rücksicht auf unterschiedliche Zielgruppen nehmen, sie ansprechen und miteinbeziehen. 

Inklusion leistet aber noch viel mehr. Inklusiver Journalismus fordert nicht „höchste Stressresistenz“, sondern er fordert, die eigenen Grenzen kennenzulernen und sie auszusprechen – und so Platz für die Bedürfnisse vieler Menschen zu machen. Inklusiver Journalismus hat so das Potential, die Strukturen der Branche ganz grundlegend zu verbessern. Denn wenn sich im Journalismus hauptsächlich jene Menschen durchsetzen, die die besten Startvoraussetzungen hatten, oder bereit sind, am weitesten über die eigenen Grenzen zu gehen, dann gehen Perspektiven verloren. Perspektiven, die wichtig wären, um die Welt so abzubilden, wie sie ist. Und das ist der Auftrag an den Journalismus.


Dieser Text wurde erstveröffentlicht in der Sonderbeilage der KUPFzeitung #191 (Sept. – Nov. 2024): Land der Freien Medien, Edition 2024.

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