Wieso die Vorstellung, dass Körper und Geist getrennt voneinander existieren und handeln so omnipräsent ist, wie wir sie überwinden und “mit ganzem Herzen anwesend” sein können und wer sich (keine) Gedanken darüber machen muss, mit einem Menstruationsartikel in der Hand gesehen zu werden, arbeitet Susi Hinterberger auf.
An Bildungsorten (aber auch anderswo) herrscht üblicherweise die Vorstellung, Lehrende und Lernende wären „körperlose Geister“, wie die Pädagogin bell hooks es beschreibt [1] . Wenn dann aber ein körperliches Bedürfnis auftritt – man etwa Hunger hat oder auf die Toilette muss, obwohl gerade keine Pause ist oder trotzdem einen Menstruationsartikel in der Kleidung versteckt und aus dem Raum huscht – wird dies als Störung wahrgenommen. Wir wissen dann vielleicht oft nicht, wie wir reagieren können, empfinden womöglich Scham und möchten das ursprüngliche Bedürfnis einfach ignorieren.
Blutende Philosoph*innen
Unsere Vorstellung der Beziehung zwischen Körper und Geist ist bis heute geprägt vom Konzept des cartesischen Dualismus des Philosophen René Descartes. Dieser imaginierte Körper und Geist als zwei völlig unterschiedliche und getrennte Substanzen [2]. Mit dieser Vorstellung geht v. a. in Bildungskontexten oft die Überzeugung einher, dem Geist wäre der Vorzug zu geben, während der Körper in den Hintergrund rückt. In einer üblichen Vorstellung von Lehrenden (und Lernenden) müssen sich diese als „objektiver Verstand, … der frei von Erfahrungen und Vorurteilen“ sei, präsentieren. Das eigene psychische und körperliche Wohlbefinden, aber auch die eigenen Emotionen, würden ansonsten die vermeintlich neutrale Vermittlung von Wissen stören, wie hooks schreibt. Sie kritisiert diese Sichtweise und steht dafür ein, dass das eigene Wohlbefinden und die eigenen Emotionen nicht von Lehr- und Lernprozessen getrennt werden können. Es sollte im Unterricht Raum für körperliche Bedürfnisse, Reaktionen und Emotionen geschaffen werden und die Möglichkeit geben „mit ganzem Herzen anwesend zu sein“. Wo die Grenze zwischen Geist und Körper liegt, ob Emotionen eher als geistig oder körperlich zu betrachten sind, ist dabei ohnehin nicht klar zu bestimmen. Diese Anwesenheit mit ganzem Herzen ist dabei mitnichten hinderlich oder irrelevant für Lehr- und Lernprozesse – sie macht im Gegenteil viele Themen greifbarer, beeinflusst was wie gelernt und ob es als sinnstiftend empfunden wird.
Blick von nirgendwo
Das von hooks beschriebene Ignorieren der eigenen Körperlichkeit ist dabei ohnehin eine Idealvorstellung und das Privileg weniger. Die Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway weist darauf hin, dass eine „unmarkierte Position“ weißen Männern vorbehalten ist. Ihr „Blick von nirgendwo … verleiht … die Macht zu sehen, ohne gesehen zu werden“ [3]. Das bedeutet, dass weiße Männer aufgrund ihrer gesellschaftlich dominanten Stellung die Möglichkeit haben, sich als „körperlose Geister“ zu verstehen und sich als „objektiver Verstand“ zu präsentieren, während Frauen*, People of Colour, behinderte Menschen und LGBTQIA+-Personen aufgrund von Diskriminierung immerfort Blicken ausgesetzt sind. Ihre Körper, wie sie aussehen und was sie (nicht) machen, werden kommentiert und kritisiert. Descartes selbst musste sich als weißer Mann also keine Gedanken darüber machen, ob er mit Tampon in der Hand auf dem Weg zur Toilette gesehen werden wollte.
Verkörperte Bildung
Bildung kann eine kritische und bedeutsame Praxis sein, die es ermöglicht, Körper und Geist gemeinsam zu denken und zu erleben. Das Wissen um körperliche Bedürfnisse, das bewusste Fühlen und das selbstbestimmte Nachgehen dieser kann hier gestärkt und in weitere Lebensbereiche hineingetragen werden. Die schrittweise Überwindung der Vorstellung, dass der Mensch in Körper und Geist getrennt ist, kann uns neue Perspektiven auf uns selbst und andere eröffnen. Dies ist ein Prozess, denn selbst für überzeugte Lehrende ist es nicht immer einfach, diese internalisierten Vorstellungen, die auch immer weitergegeben werden, zu überwinden. Für wen die Überwindung dieser Trennung leichter, schwerer oder auch mit sozialen Konsequenzen verbunden ist, hängt dabei mit den oben genannten Privilegien zusammen. Wenn man ohnehin keine „unmarkierte Position“ innehat, geht es weniger darum, als Mensch mit Körper wahrgenommen zu werden, als darum, diese Wahrnehmungsweisen selbstbewusst anzunehmen und mitzubestimmen. Aber genau das kann uns eine Überwindung dieser Trennung bieten: Einen schärferen Blick auf die uns umgebenden Verhältnisse, damit es uns leichter fällt, unser Miteinander und unser Bildungssystem für alle zugänglicher und angenehmer zu gestalten. Mit voller Aufmerksamkeit dabei sein zu können, ist nämlich z. B. für menstruierende Personen nur dann möglich, wenn sie ihren Körper nicht dem Stundenplan unterordnen müssen – wenn der Kopf nicht ständig darum kreist, wann die nächste Pause ist, und die Angst vor Blutflecken auf Kleidung oder Möbeln die Konzentration auf anderes schwierig macht.
[1] (bell hooks, Die Welt verändern lernen, 2023)
[2] (spektrum.de, cartesischer Dualismus, https://shorturl.at/XpRzx)
[3] (Donna Haraway, Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und das Privileg einer partialen Perspektive, 1995)