Die meisten von uns leiden unter Schönheitsnormen, manche mehr, andere weniger. Die Darstellung von Figuren in künstlerischen Arbeiten – etwa in Schauspiel, Film und Theater – trägt dazu bei. Wie ist es dazu gekommen und wie kommen wir da wieder heraus? Von Irina Angerer.
Nach wie vor gilt als schön, wer schlank, jung und weiß ist. Das zeigen auch die hitzigen Debatte um Disney Neuverfilmungen wie Schneewittchen. Erst vor kurzem wurde der Trailer zur Live-Action-Version veröffentlicht. Daraufhin gab es viel Kritik für die Besetzung: denn Rachel Zegler, eine Schauspielerin mit kolumbianischen und polnischen Wurzeln, spielt Schneewittchen – das allein sorgt im Netz für Wut und Empörung. Die Kritiker*innen werfen Disney vor, den Märchenklassiker durch „Wokeness“ zu zerstören. Als „woke“ gilt, wer ein „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus hat. Die Diskussion ist ähnlich wie jene der Besetzung von „Arielle“ mit Halle Bailey, einer schwarzen Frau. Kommentare wie „Schneewittchen muss weiß sein“ und „wieder ein Klassiker ruiniert“ dominieren nun die Diskussion in den Sozialen Medien. Und dass, obwohl der Film noch gar nicht veröffentlicht wurde.
Was gerade als schön bezeichnet wird, hängt von der Gesellschaft ab, in der man lebt. Das ist das sogenannte Schönheitsideal oder auch die Schönheitsnorm. Diese „Normen“ entstehen nicht einfach so. Sie dienen als Machtinstrument, welches gesellschaftliche Standards festsetzt und Herrschaftsstrukturen etabliert. Nicht nur die sozialen Medien, sondern auch die Film- und Theaterindustrie kreieren Schönheitsnormen und erhalten diese aufrecht. Seit Beginn an sind vor allem Frauen* in der Schauspielbranche dem Druck ausgesetzt, einem bestimmten Bild von Schönheit zu entsprechen.
Normen im Wandel
In den 1920er Jahren galten Schauspielerinnen dann als besonders schön, wenn sie möglichst wenig Brust und Taille hatten. Frauen* klebten sich die Brüste ab, kleideten sich auffällig und trugen Hosen. Langhaarfrisuren wurden vom Kurzhaarschnitt „Bubikopf“ abgelöst.
In den 1930er- bis 1950er-Jahren, der „goldenen Ära“ Hollywoods, mussten Schauspielerinnen Diäten einhalten oder sich Schönheitsoperationen unterziehen, um “Sexsymbole” zu sein. Zudem wurde der Einfluss von Zeitschriften und Fernsehen immer spürbarer. Barbie und Playboy verstärkten das Idealbild von großer Oberweite, schmalen Hüften und rundem Po.
Dauerwellen und Kleidung in Neonfarben oder Pastelltönen im “Fitness Look” prägten die 1980er Jahre. Wer als schön gelten wollte, musste muskulös und sportlich sein. Trendsetter*innen veröffentlichten Aerobic-Videos. In den 1990ern waren blasse Haut, ein kantiges Gesicht und dünne Körper das Ideal – oftmals bezeichnet als „Heroin Chic“, eine Anspielung darauf, dass viele Anhänger*innen suchtkrank aussehen.
Das Schönheitsideal der 2000er bis 2020er Jahre ist geprägt von Popkultur, sozialen Medien und technologischen Entwicklungen. Man soll perfekt und gleichzeitig individuell sein. Volle Lippen, flache Bäuche, makellose und faltenfreie Haut.
Was all diese Jahrzehnte eint? Das Aussehen weiblicher Schauspielerinnen wurde und wird bis heute noch immer häufiger kommentiert und kritisiert als die schauspielerischen Leistungen selbst.
Schönheitsdruck und „Pretty Privilege“
Es gibt auch prominente Gegenstimmen: Schauspielerinnen wie Jennifer Lawrence, Emilia Clarke oder Emma Thompson haben sich bereits in der Öffentlichkeit gegen diesen Schönheitsdruck und immer unrealistischere Erwartungen an junge Frauen* ausgesprochen. In einem Interview mit einer deutschen Zeitschrift sagte Thompson vor einigen Jahren: „In Frankreich dürfen Frauen* altern, ohne ihre Weiblichkeit, ihren Sex-Appeal zu verlieren. In Amerika ist das undenkbar. Da müssen alle Frauen* aussehen, als wären sie zwölf Jahre alt. Das ist widerlich.“ Die mittlerweile 65-jährige Schauspielerin fordert eine realistische Darstellung von Schönheit und Alter in den Medien.
Hollywood spiegelt nicht nur gesellschaftliche Schönheitsideale wider, sondern bringt sie aktiv hervor. Die Debatte über Schönheitsnormen in der Filmindustrie bleibt aktuell, denn sie beeinflusst maßgeblich, wie die breite Öffentlichkeit Schönheit wahrnimmt und wie vor allem junge Frauen* sich selbst und andere sehen. Dahinter steckt auch eine ganze Industrie, die davon lebt, dass vor allem junge Frauen* sich mit den Hauptcharakteren auf Netflix und Co. vergleichen. Und die plötzlich vermeintlichen Makel entdecken, die sie ohne Soziale Medien, Serien und Filme nie als solche wahrgenommen hätten. Zwar lassen auch immer mehr Männer Schönheitseingriffe durchführen, jedoch sind die Kund*innen zu 90 Prozent weiblich. Es gibt zudem Studien, die belegen: Wer schön ist, hat es leichter im Leben. Das sogenannte Pretty Privilege beschreibt die Vorteile, die Menschen genießen, wenn sie dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Im Gegensatz dazu erleben Menschen, die diesen Normen nicht entsprechen, Abwertung und Diskriminierung, was als Lookismus bezeichnet wird.
Es gibt noch viel zu tun
Zwar stimmt es, dass Kunst und Kultur in den vergangenen Jahren sehr viel diverser geworden sind, aber noch immer sind Menschen, die nicht normschön sind, stark unterrepräsentiert. Das gilt auch für dicke, queere, alte, behinderte und nicht weiße Menschen. Mehrgewichtige Menschen werden oft als „krank“ oder „faul“ gelesen. Ihnen wird unterstellt, dass sie ungesund leben und selbst dafür verantwortlich sind. Es gibt kaum Filme, in denen mehrgewichtige Menschen die Hauptrolle einnehmen, ohne dass es um ihr Gewicht geht, welches sie ins Unglück stürzt und darum, wie sie versuchen, abzunehmen. Oder aber sie nehmen die meist laute, witzige und dennoch unbeliebte Nebenrolle von besten Freund*innen ein. Queere Personen unterliegen dem Druck, dass sie als Frau oder Mann „passen“ müssen, also eindeutig wie eines dieser Geschlechter auszusehen. Das Verb „to pass“ ist Englisch und bedeutet „(als jemand) durchgehen“. Falls doch eine nach außen hin sichtbar queere Person gecastet wird, dann steht meist deren Sexualität und Identität im Mittelpunkt. Sichtbar behinderte und psychisch kranke Menschen werden oft von nicht-behinderten Schauspieler*innen gespielt, die Rollen sind oft die der Bösewichte oder Gewalttäter. Und dass weiße Menschen und helle Haut noch immer mit Schönheit gleichgesetzt werden, hängt unter anderem mit der Geschichte des Kolonialismus zusammen. Ein europäischer Schönheitsstandard wird als erstrebenswert angesehen, insbesondere in Ländern mit kolonialer Vergangenheit. Dieser hat sich bis heute durchgesetzt und führt auch dazu, dass westliche Merkmale wie eine kleine Nase oder helle Haut idealisiert werden. Und auch für sichtbar alternde Menschen ist in Werbung, Film und in den Sozialen Medien kaum Platz.
Wie es gehen könnte
Es stimmt, die Industrie hat sich verändert, dennoch: Die Schauspieler*innen, welche in den Disney-Neuverfilmungen die Rollen von Schneewittchen, Arielle und anderen Held*innen spielen, sind wunderschön. Sie sind jung, entsprechen einer femininen Optik und sind schlank. Wenn wir sagen, dass die Branche diverser wird, dann bezieht sich das meist auf ein einzelnes Merkmal einzelner Schauspieler*innen. Eine Hauptrolle mit einer Person zu besetzen, die zugleich Schwarz, mehrgewichtig, älter, queer und behindert ist, bleibt jedoch nach wie vor sehr unwahrscheinlich. Und selbst in diesem Fall würde das Gesicht vermutlich perfekt symmetrisch sein, mit kleiner Nase, vollen Lippen und vollem Haar. Es ist wichtig, sich Schönheitsnormen bewusst zu werden, aber auch weiter dafür zu kämpfen, diese Normen zu brechen. Gleichzeitig zeigt die konstante Veränderungen im Laufe der Geschichte auch, dass Wandel möglich ist – und dass wir aktiv daran teilhaben können, indem wir Menschen jenseits der üblichen Sicherheitsstandards und Stereotypen casten und repräsentieren. Und das gilt nicht nur für große Theaterbühnen oder Hollywood, sondern ist auch in einem kleineren Rahmen möglich.