Standards für faire Kunst und Kultur – Clar Gallistl arbeitet gerade in London als International Researcher bei einer Organisation, die Standards für die UK entwickelt. Welche Rückschlüsse tun sich für die Kunst- und Kulturarbeit in Österreich auf?
Standards für faire Kunst und Kultur? Die anonyme Insider*in lacht laut. Ich lache mit, finde es aber gleichzeitig schmerzhaft schade, dass so etwas in Österreich nicht denkbar ist. Vielleicht sieht sie den Kunst- und Kulturbereich nur sehr pessimistisch. Vielleicht wäre es denkbar. Wer müsste in welcher Reihenfolge zusammenkommen, um einen Kulturwandel in unser Land zu bringen? Vielleicht geht es irgendwie doch? Wir wollen doch alle, dass Kunst und Kultur fairer werden.
Utopie
Während das Lachen der vertrauten Kenner*in der österreichischen Kunst und Kultur noch durch die verwinkelten Räume der Royal Society of Arts, Manifacturing and Commerce, einer seit den 1870ern bestehende Art Shared Office und Kaffeehaus für Mitglieder in Zentral-London, hallt, beginne ich zu träumen – von einem Österreich, in dem Standards für faire Kunst- und Kulturarbeit existieren, weil sich alle Beteiligten an einen Tisch gesetzt und finanzielle Mittel bereit gestellt haben, um so etwas zu entwickeln. Eine Ö NORM für Kulturmanagement, die mentale Gesundheit fördert, Schikane und Belästigung vorbeugt und klare Mechanismen für das Melden und den Umgang mit Übergriffen vorgibt. Diskriminierungsformen entgegenzuwirken wäre eine ernste Angelegenheit, es wäre eine echte Peinlichkeit für jede Arbeitgeber*in, wenn Ausgrenzungen passieren und nicht sorgsam damit umgegangen wird. Alle wären sich einig.
Stillstand
In Österreich lehnen wir Normen gerne ab – vor allem in der Kunst. Die Vision der neuen Arbeitskultur wird von vielen als hinderlich empfunden. „Das schränkt die Freiheit der Kunst ein! Die steht in der Verfassung!“, hör ich Vertreter*innen der Szene meine Idee schon im Ansatz zunichtemachen. Aus Angst vor Veränderung lieber auf der Stelle treten. Dabei trampeln sie auf einer Idee herum, die noch gar nicht ausgearbeitet ist, statt diese konstruktiv weiterzudenken. Egal.. Lieber verlangen wir weiter von anderen etwas zu tun, von dem wir denken, dass es richtig ist. So zeigt jede*r mit dem Finger auf andere und niemand bewegt sich. Das GIF der vielen Spidermans (google-Empfehlung: “Spidermans pointing at each other”)
Absicherung
In London nehme ich am Member’s Quarterly des Institut for Regulations teil, einem informellen Austausch von Menschen, die beruflich mit Normierung und Regulierung beschäftigt sind; von Umweltschutz über Senior:innenheime und Schulen, Themen gibt es genug. Um mich herum wird von der Schönheit gemeinschaftlich beschlossener Standards geschwärmt. Wie entlastend Normen für Organisationen sind, erkenne ich, als der Vortrag auf das Thema Resilienz schwenkt. Normen reagieren auf Risikoprofile. Das bedeutet: Im ersten Schritt analysierst du, was schief gehen kann und wer/was vom theoretischen Eintritt eines Risikos betroffen ist. Dann suchst du den verletzlichsten Teil deiner Organisation aus. Die Menschen, denke ich. Aber es geht ums System. Darum, ein flexibles System zu bauen, das im Notfall die richtigen Expertisen schnell zusammenbringt, um auf Krisen reagieren zu können.
Wir nehmen Standards und Normen oft als Einschränkung wahr, aber wenn man sich ansieht, wie Standards und Normen gemacht werden, merkt man schnell, worum es dabei eigentlich geht: um Kommunikation und Kooperation. Die verletzlichsten Teile des Systems benennen, alle relevanten Verantwortlichen an einen Tisch holen und gemeinsam entscheiden, wie das Schlimmste verhindert und gut gearbeitet werden kann – das hört sich in meinen Ohren ziemlich gut an.
Good Practice in UK
Ich sitze als Person, die bei CIISA arbeitet, im Meeting der englischen Regulator*innen. CIISA steht abgekürzt für „Creative Industries Independent Standards Authority“, quasi ein englisches Start-Up, das Standards für Kunst, Kultur und die Kreativwirtschaft erarbeitet und im kommenden Jahr Trainings anbieten wird, so dass jede Person weiß, wie die Standards lauten und wie sie im künstlerisch-kulturellen Arbeitsalltag anzuwenden sind. In England ist die Lage dicht und prekär: Nach den USA werden hier weltweit die meisten Filme gedreht und über 70% der Menschen, die in TV und Film arbeiten, sind selbständig. Für sie gelten oft Arbeitsschutzgesetze nicht und auch Gleichbehandlungsgesetze sind oft strenger für Angestellte. Überhaupt leben Selbstständige in Kunst und Kultur meist prekär. Die CIISA Standards sollen für alle da sein – unabhängig von Bereich, Branche oder Dienstverhältnis. Neben Trainings wird CIISA auch ein Beschwerde- bzw. Meldesystem und für Betriebe Konfliktlösung und Mediationen anbieten. Als Standards Authority, also einer Organisation, die die Einhaltung von Standards überwacht, ist die Idee von einheitlichen Standards zentral.
Die Ambivalenz der Normen
„Aber es gibt eh schon so viele Standards“, höre ich den Theaterleiter stöhnen. Und zurecht: Das ist die andere Seite der Regulierung. Das Arbeitsrecht gibt rechtlich bindende Standards vor, das Gleichbehandlungsgesetz auch, ebenso das Verbot von Diskriminierung. Ein Problem ist auf jeden Fall, dass viele im Kunst- und Kulturbereich die rechtlichen Grundlagen gar nicht kennen. Aber das andere Problem ist, dass Gesetze einerseits löchrig sind und andererseits nur ein bare minimum vorgeben. Das Awareness Institut arbeitet deshalb zum Beispiel an einheitlichen Standards für die Arbeit von Awareness-Teams im deutschsprachigen Raum. Noch ein Standard? Wer hat denn die Zeit und die Ressourcen, all diese Vorgaben zu lesen, zu verstehen, auf die eigene Situation anzupassen und umzusetzen?
Wie schön wäre ein professionell geführter Prozess, in dem alle an einem Tisch zusammenkommen und ganz konkret besprechen, welche Standards wir uns als Bereich selbst geben müssen, um gemeinsam fairer zu werden? Wenn das Lachen verstummt ist, und die positive Idee stark genug für all das Auf-ihr-herum-Getrampel ist – vielleicht kann dann ja noch was entstehen. Auch in Österreich.