Wie wir Sprachen hören, bewerten und weitergeben. Vera Ecser zwischen Alltag, Aktivismus und Identität.
Sprachen und die Emotionen, die sie in Menschen hervorrufen, haben mich schon immer fasziniert. In der Sprachwissenschaft gibt es sogar einen Fachbereich, der sich damit beschäftigt, wie Sprachen wahrgenommen werden. Er ist eng mit der kognitiven Psychologie verknüpft, die untersucht, wie Menschen Informationen verarbeiten. Dabei finde ich besonders spannend, dass wir manche(n) Sprache gerne (zu)hören und sie bewundern, während uns andere verunsichern oder sogar Angst machen.
Für mich war es immer selbstverständlich, mehr als eine Sprache zu sprechen. Mit der Zeit begann ich, bewusster über Sprachen und das Erlernen von Sprachen nachzudenken. Warum legen einige Länder so großen Wert darauf, dass bestimmte Sprachen als gesellschaftliche Norm gelten, während Sprachen, die mit Migration, Minderheiten oder bestimmten Herkunftsregionen verbunden sind, oft abgewertet oder unsichtbar gemacht werden? Geht es dabei noch um Zugang und Chancengleichheit innerhalb einer Gesellschaft – oder doch eher um wirtschaftliche Reichweite, Einfluss und die Vorherrschaft einzelner Sprachen und ihrer Sprecher*innen? 25 Jahre in Österreich, drei Bundesländer und drei Kinder später lassen mich diese Fragen noch immer nicht los. Ich habe die regionalen Dialekte gelernt und erkundet und meine eigene Herkunftssprache weiter unter die Lupe genommen. Das hat viele Offenbarungen mit sich gebracht und Diskussionen am Familientisch angestoßen.
Diese Mehrsprachigkeit begleitet mich täglich:
Als Mama: Mehrsprachige Kinder zu erziehen ist eine „wonderful, awful“ Herausforderung. Sie lernen die Erstsprache, die wir vor 25 Jahren mit nach Österreich gebracht haben. Wenn sie mit gleichaltrigen Kindern aus unserem Heimatland zusammentreffen, merkt man aber Unterschiede, wenn sie deren weiterentwickelten Sprachgebrauch noch nicht kennen. Wir müssen ihnen ausreichend Gelegenheiten bieten, die Erstsprache zu hören und zu sprechen – als Ausgleich zu den täglich mehr als acht Stunden Deutsch, die sie im Kindergarten, in der Schule, im Hort, im Sportverein, von Freund*innen und der Umgebung hören. Dabei versuche ich nicht die „peinliche Mama“ zu sein, wenn ich sie vor ihren Freund*innen in der Erstsprache anspreche. Wir versuchen ihnen zudem auch Schreib- und Lesekompetenz im Erstsprachenunterricht zu vermitteln, während ich zu Hause mathematische Fachbegriffe auf Deutsch lerne, um sie in der Schularbeitsvorbereitung unterstützen zu können.
Als Programmkoordinatorin: Die Programmmacher*innen von Radio FRO zeigen ein Abbild der Oberösterreicher*innen. Hier wohnen nicht nur 40- bis 65-jährige weiße Männer, sondern Menschen aller Altersgruppen, Herkünfte und Erstsprachen, die etwas beizutragen haben. Deshalb ist es uns so wichtig, diese Vielfalt zu repräsentieren. Wir sind offen, kritisch und frei, so sollte auch unser Programm wahrgenommen werden. Unser Ziel ist es, die kleinen Blasen zu verbinden, damit wir alle willkommen heißen können.
Als MIB-Mitglied: Der Migrations- und Integrationsbeirat (MIB) ist die politische Interessenvertretung der in Linz lebenden migrantischen Communitys. In regelmäßigen Arbeitssitzungen setzt sich der Beirat mit aktuellen Themen im Bereich Integration auseinander und trägt dazu bei, das Zusammenleben in Linz zu verbessern. Was mich dabei oft beschäftigt, ist, dass es immer noch ein „uns“ und „euch“ gibt. Migration und Ausländer*innen werden als Problem gesehen. Mein Traum ist es, dass auch Expats (Personen, die ohne Einbürgerung in einem Land leben) als echter Teil der Gesellschaft begriffen werden – denn ich glaube, dass das einige Aspekte bereichern würde, von Stadtwentwicklung bis zur Gestaltung von Kulturprogrammen.Als Obfrau: Wir wollen Kinder dabei begleiten, Neugier gegenüber anderen Sprachen zu entdecken, Scheu und Angst vor anderen Menschen, die andere Sprachen sprechen, zu nehmen und dadurch ein Gemeinschaftsgefühl über Sprachbarrieren hinweg zu fördern. Wenn österreichische Institutionen hin und wieder ein fremdsprachiges Programm in ihr Angebot aufnehmen, sei es ein Kindertheaterstück oder ein Bilderbuch in der Bibliothek, können auch österreichische Kinder davon profitieren. Denn Gefühle gegenüber Fremdsprachen sind nicht angeboren, sondern erlernt.