Sich zwischen Herkunftsfamilie am Land und der eigenen Bubble in der Stadt bewegen? Zwischen wichtigen Orten, Identitäten und Familiensystemen (auch) abseits der Blutsverwandtschaft pendeln? Magdalena Hubauer und Katharina Spanlang vom Kulturverein Leischn mit einer Reflexion.
Wir sind Leischn. Wir dachten, den Begriff “Leischn” kennt jede*r. Doch als uns fragende Blicke begegneten, lernten wir: Der Begriff wird vor allem in Oberösterreich und Umgebung verwendet. Eine Definition könnte so lauten:
“Leischn (die), eine Person, die gerne und viel unterwegs ist”. „Leischn“ ist praktischerweise auch als Verb für genau diese Art des Unterwegsseins gebräuchlich.
Wann kummst’n wieder amoi hoam?
Nun kommt es, dass wir nicht nur Leischn sind, sondern uns im Familienverband sogar zu Weggezogenen gemausert haben. Fragen zum Unterwegssein wurden abgelöst von der Frage nach dem Heimkommen: “Wann kummst’n wieder?”, noch bevor wir in den Zug zum neuen Wohnort gestiegen sind und zwar aus ganz unterschiedlichen “Beziehungs-Richtungen”: Tanten, Nachbar*innen, Eltern, Geschwister, die Kassierer*in aus dem lokalen Supermarkt. Natürlich, die Frage schmeichelt, denn sie ist eine indirekte Einladung. Doch manchmal stresst sie, denn wir hören sie auch als Aufforderung.
Diese Situationen und diese Frage haben uns beschäftigt. Warum aber ist das so? Wir merken, dass darin eine Zerrissenheit steckt. Nicht nur im Sinne des Pendelns zwischen zwei oder mehreren wichtigen Orten, sondern auch ein Zerwürfnis zwischen Identitäten, Zugehörigkeiten, Familiensystemen (auch) abseits der Blutsverwandtschaft und alternativen und queeren Lebensformen.
Daheim
Wir verhandelten diese so alltäglich wirkende Frage in vielen Sprachnachrichten und widmeten ihr schlussendlich die Ausstellung “Wann kummstn wieder amoi?” Anfang 2025 in der Galerie 20gerhaus in Ried im Innkreis. Der Titel beinhaltete zu Beginn noch den Begriff “hoam”.
“Hallo Kathi, ich hab meiner Mama gerade vom Ausstellungstitel erzählt. Für sie hat “hoam” nur eine Richtung: Richtung Oberösterreich. Sie besteht darauf, “hoam” für Oberösterreich zu verwenden und “zhaus” – was ich NIE SAG – für den neuen Wohnort. Insofern passt der Titel doch, was meinst du?”
In vielen Fällen bleibt der Ort, an dem man aufgewachsen ist, auch weiterhin ein wichtiger Bezugsort und eine Form von “Daheim”. Viele von uns können an einen Ort zurückkommen, haben Familie und alte Freund*innen in der Umgebung und behalten vielleicht sogar ein Zimmer. Und dies ist durchaus als Privileg zu begreifen. Dazu gesellen sich oft weitere Arten von “Daheim”. Das Daheim, das wir uns nach dem Auszug aus dem Elternhaus aufgebaut haben – örtlich, aber auch im übertragenen Sinne: Unabhängig von Blutsverwandtschaft sind neue tragende Netze zwischen Freund*innen und wichtigen Bezugspersonen entstanden.
Sich erklären und sich entwickeln
“Hallo Magda. Ich bin ja gerade bei meinen Eltern und arbeite die Tage von hier aus. Es ist schon spannend zu beobachten, wie sehr ich das Gefühl habe, mich erklären zu müssen, wenn ich einfach im Zimmer sitze und in Zoom-Meetings bin oder an E-Mails und Texten arbeite. Mich lässt der Eindruck nicht los, dass das nicht wirklich Arbeit für sie ist.”
Wenn wir im ehemaligen Kinderzimmer übernachten, fällt der Blick auf ein Poster aus den 2000er-Jahren und wirft einen damit schnell zurück in einen früheren Teil der Persönlichkeit. Persönlichkeit entwickelt sich zum Glück auch nach der Schulbildung noch ein Stück weiter – dann aber für Weggezogene nicht mehr vor den Augen der Familie, sondern vor den Augen neuer Freund*innen, Kolleg*innen, Chef*innen, usw. Mit jedem Heimkommen wird ein Stück der neuen Persönlichkeit mitgebracht und das kann überfordern – am meisten eine*n selbst.
Sichtbarkeit & Sorge tragen
“Hallo Magda. Ein Thema, das mich in letzter Zeit auch sehr beschäftigt, sind Fragen rund um Sorge. Wer sorgt sich um wen und wer darf sich auch rechtlich um wen sorgen? In Blutsbeziehungen oder traditionellen Familienbildern ist das ja recht klar. Aber sogar gleichgeschlechtliche Ehen sind in ihren Rechten nicht mit heteronormativen gleichgestellt. Außerdem sind für mich in den letzten Jahren immer mehr Freund*innen zu wichtigen Sorgeträger*innen geworden und dafür gibt es weder gesamtgesellschaftlich geschweige denn rechtliche Rahmenbedingungen. Es wirkt so, als wären sie gar nicht wichtig oder von Wert.“
Viele junge Städter*innen bewegen sich in ihren Bubbles, in denen queere Beziehungsformen akzeptiert und normalisiert sind. Es ist wohltuend, sich nicht erklären zu müssen. Anders ergeht es uns, wenn wir zu unseren Herkunftsfamilien kommen. Wir erleben viel Aufgeschlossenheit im ländlichen Raum, doch die Bubblebildung ist (glücklicherweise?) wesentlich geringer, weil viel weniger Menschen auf viel mehr Fläche leben. Das wissen wir zum einen zu schätzen und andererseits ist es auch mühsam und anstrengend, sich selbst erklären zu müssen, hinterfragt zu werden, sich in manchen Fällen auch weniger angenommen zu fühlen. Queere Familienbilder sind in ländlichen Regionen unsichtbarer, wobei sie uns in urbanen Bars und den Gruppen, in denen wir uns bewegen, viel mehr begegnen und somit auch leichter lebbar sind. Wenn auch sichtbarer, gibt es dennoch in allen “Bubbles” – egal ob am Land oder in der Stadt Bedarf nach Reflexion zu eigenen Privilegien und Vorurteilen.
Wir sprechen es weiter an
In den letzten Jahren reflektierten wir sehr viel über unser Aufwachsen im ländlichen Raum. Wir teilten unsere Erfahrungen, Beobachtungen und Erlebnisse mit Freund*innen, die ähnliche Biografien haben. Wir sprechen über Strukturen, die im ländlichen Raum anders funktionieren und über solche, die wir uns mit dem Umzug in die Stadt angeeignet haben. Und darüber, dass es von Vorteil ist, sich in beiden Systemen bewegen zu können. Wir sprechen über Klassismen, die wir, aufgewachsen im bäuerlichen Milieu und in Arbeiter*innenkreisen, erleben. Wir versuchen Worte, Narrative, Erzählungen dazu zu finden und durch das Besprechen die unterschiedlichen Lebensrealitäten etwas näher zueinander zu bringen. Die Reibungen, die sich zu vermehren scheinen, etwas zu glätten und Bilder, die sich zu verfestigen drohen, aufzubrechen und weiter zu malen.