EDITORIAL #76

über Nitsch&Sekten, den UHBP und Europa

 

von Martin Lengauer

Liebe Leserin, lieber Leser,

Merkwürdiges trägt sich allerorten zu. Da schlug etwa jüngst der „Sektenexperte“ der Diözese Linz, Andreas Girzikovsky, Alarm: Jugendliche entzögen sich selbst im katholischen Mühlviertel immer mehr dem Wirkungskreis der Kirche. Ja schlimmer noch: sie würden geradezu zur Gegenseite überlaufen. Nein, keine kommunistischen Widerstandsnester, auch keine protestantische Guerilla locke die unschuldigen Kinder vom Pfade der Erleuchtung. Satan, der Leibhaftige selbst, erfreue sich zunehmender kultischer Verehrung. Zum Leidwesen des Sektenexperten eignet sich Beelzebub jedoch denkbar schlecht, ihn vor irdischen Medien für jugendlichen Obskurantismus verantwortlich zu machen. Weil der Teufel aber an die Wand gemalt sein will, mußte halt ein anderer Gottseibeiuns herhalten. Girzikovsky: „Solange in Österreich die Blutschmierereien des Herrn Nitsch als hohe Staatskunst präsentiert werden, ist der Kampf gegen Satanskulte kaum zu gewinnen.“ (1) Das nennt man Kulturarbeiterdämmerung: Heerscharen von einstmals katholischen Jugendlichen pilgern nach Prinzendorf im Weinviertel, um Meister Nitsch beim Orgien-Mysterien-Theater zur Hand zu gehen. Fröhliches Liedgut (etwa AC/DC´s „If you want blood, you got it“) auf den Lippen wird Österreichs Jugend endlich Teil einer Staatskunstbewegung. Diese wird auch der neue alte Herr Bundespräsident nicht mehr ignorieren können. Hatte Thomas Klestil während eines Staatsbesuches in Spanien noch demonstrativ das Betreten einer Nitsch-Ausstellung verweigert, schwingt er sich nun zum Botschafter orgiastischer Staatskunst auf: „Ich könnte mit Hilfe der Medien Probleme thematisieren, die mir wichtig sind. Zum Beispiel das Thema Kultur, das wir Österreicher in der EU schwer vernachlässigen.“ (2) Hut ab, Herr Präsident. Ob Sie die kleinformatigen Blutschmierer auch in der Angelegenheit unterstützen werden?

Sollte Thomas Klestil in Sachen Kultur in Europa neue Verbündete brauchen, darf er sich getrost an die KUPF wenden. Ihre Veranstaltungsreihe „EU – Kulturregion OÖ.“ stößt derzeit bei Medien und Publikum auf großes Interesse. Kein Wunder: bisher haben Politik und Verwaltung kaum dazu beigetragen, daß die Kulturpolitik der EU offen diskutiert wird, geschweige denn ihre Förderinstrumente effektiv genutzt werden. Sylvia Amanns Bericht zum ersten von vier Diskussionsabenden lesen Sie in dieser KUPF-Zeitung. Europareife beweist hingegen Oberösterreichs Kunst- und Kulturszene: „EUphorie-EUphobie“ lautete das Thema des KUPF-Innovationstopfs 1998, gefragt waren originelle Auseinandersetzungen mit einem widersprüchlichen Kontinent. Vierzig (!) Projekte stellten sich einer internationalen Jury, für acht von ihnen reichten die Mittel des Topfes. Mehr darüber auf Seite 20. Daß Jugendliche in Oberösterreich nicht bloß an Satanskulten und schwarzen Messen interessiert sind, bewiesen die Diskussionsrunden, zu denen die KUPF in mehreren oö. Gemeinden geladen hatte. Anhand des KUPF-Maßnahmenkataloges zuMutungen debattierte man Probleme der Gemeindekulturpolitik. In punkto Jugendkultur scheinen die Kommunalpolitiker dazu gelernt zu haben. Statt auf taube Ohren stößt man heutzutage auf „Verständnis“. So mancher Bürgermeister möchte auch „Teil einer Jugendbewegung sein“. Welche Wolken sich sonst noch am kulturpolitischen Firmament zusammenbrauen, seien es gewittrige (Freie Radios und kein Ende), seien es heitere (Ferry´s Festival), erfahren Sie in dieser KUPF-Zeitung. Viel Vergnügen bei der Lektüre wünscht Ihnen

Martin Lengauer

1 Neues Volksblatt, 17. April 1998, S. 8 2 profil, Nr. 16, 11. April 1998, S. 25

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