Zeitenwende

Peter Kuthan zur globalen Lage und der Rolle von Kulturarbeit

Wir sehen uns einer Zeitenwende gegenüber, die im Begriff ist, die Kräfteverhältnisse – nicht nur in Österreich und Europa, sondern global – auf Jahrzehnte hinaus zu verschieben. Das Aufkommen und Erstarken eines autoritären Populismus – von Trump über Erdogan bis Putin – ist wie das Anwachsen von Nationalismus und Fremdenhass quer durch Europa äußeres Zeichen einer Entwicklung, die mit dem Begriff „Flüchtlingskrise“ mehr vernebelt als erfasst wird.

Die zunehmende Abschottung Europas nimmt zynisch tausende Tote an seinen Grenzen in Kauf und straft damit die gepredigten europäischen Werte Lügen. Verklärt durch das neoliberale Mantra der (Handels)Freiheit spitzen sich Ausbeutung und Ausplünderung und damit der Gegensatz von Arm und Reich im Weltmaßstab zu und befördern so die Desintegration der Gesellschaften, Regionen und ganzer Kontinente. Re-Nationalisierung und Aufrüstung befeuern regionale Konflikte und lassen die Gefahr globaler Waffengänge dramatisch ansteigen.

Der afrikanische Philosoph Achille Mbembe spricht mit Blick auf die Alte Welt bereits vom „Ende des Zeitalters des Humanismus“, der kroatische Philosoph Srećko Horvat von der Plattform “Democracy in Europe Movement 2025” (DiEM25) bezeichnet den Umgang Kerneuropas mit seinen Rändern als „echo of old-style colonialism“. Tatsächlich zeigt gerade der aktuelle Umgang mit Menschenrechten wie dem auf Asyl, aber auch mit Migration insgesamt, wie dünn die Haut der Zivilisation geworden ist. Das Böse in seiner ganzen jämmerlichen Banalität (Hannah Arendt) drängt vehement in die Mitte der Gesellschaft.

Gerade für Kulturinitiativen sind da Auflehnung und kreativer Widerstand ein Gebot der Stunde. Das beginnt mit der Verteidigung und Weiterentwicklung von kultureller Vielfalt und Inklusion, für die es viele hervorragende Beispiele in der Zivilgesellschaft und der KUPF gibt. Dazu gehört aber vor allem das Schmieden von neuen Allianzen über tradierte gesellschaftliche Schranken hinweg, wie es die inzwischen viel geschmähte Willkommenskultur oder das breite Bündnis gegen eine autoritäre Übernahme der Staatsspitze zustande gebracht haben. Solche Allianzen waren auch in den letzten Jahrzehnten wirksam – wie die Studenten-, Ökologie-, Sozial- und Friedensbewegung – und liefern viele Lehren und Ansatzpunkte.

Die zentrale gesellschaftliche und strategische Herausforderung ist aber der Umgang mit dem Bedeutungsverlust oder besser der Umdeutung von Arbeit, vor allem in Form der Industriearbeit, die den Kern der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung definiert hat. Infolge der technologischen Entwicklung, der Auslagerung, aber auch der Verschlechterung der Sozialgesetzgebung und des Fremdenrechts sind die Heere der modernen Arbeitssklaven in Österreich heute „entsendete“ Bauarbeiter, Pflegearbeitskräfte aus Nachbarländern oder SexarbeiterInnen, allesamt politisch entrechtet und an den Rand der Gesellschaft abgeschoben. Dazu kommen die (Teilzeit-)HacklerInnen in Handel- und Dienstleistung, prekäre PraktikantInnen und Scheinselbständige, die ums Überleben raufen müssen.

Kulturarbeit und Kulturpolitik, die darauf keine Antwort finden, verlieren die Bodenhaftung und verkommen zur Behübschung und Selbsttäuschung. Tatsächlich gibt es bereits viele Kunst- und Kulturinitiativen, die – intersektoriell, weltoffen und grenzüberschreitend – kreativ an neuen Formen der Inklusion und Vergesellschaftung arbeiten. Wie ähnlich gelagerte Projekte der Selbstverwaltung und Gemeinwesenarbeit vertrauen sie darauf, dass die lokale Ebene in einem trickle up Effekt (Srećko Horvat) auch die nationale und transnationale beeinflussen kann. Vorwärts, ihnen gehört die Zukunft.

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