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Vina Yun weiss, was es auf sich hat, wenn Ausstellungen an einem Tag im Jahr mit „Cunt“- statt mit „Cock“tails eröffnet werden.

 

Die Vorzeichen sind nicht zu übersehen: Binnen kürzester Zeit schnellt die Zahl der Polit- und Kulturveranstaltungen mit dem Zusatz „Gender-“ oder „Frauen-“ im Titel in die Höhe und es reiht sich ein „Special“ nach dem anderen – vom Diskussionspanel über die „Gender-Schere im Musikbereich“ bis hin zur „Frauenfilmwoche“. Ein großes Kunsthaus in Wien, das sich ansonsten nicht unbedingt mit gesellschaftspolitischen Anliegen hervortut, lässt seine Abendbeleuchtung in Lila („die traditionelle Farbe für frauenpolitische Anliegen“, so die Presseaussendung) erstrahlen. Ausstellungen werden mit „Cunt-“ statt „Cock“tails eröffnet, bei Diskussionsveranstaltungen werden ausschließlich Weine von Winzerinnen gereicht. Radio- und Fernsehsender kündigen „Frauensonderprogramme“ an, Zeitungen bewerben ihre „Sonderbeilagen“ zum Thema „Frauen und Prekarisierung“. Es ist wieder soweit: Der 8. März steht vor der Tür. Heuer gibt es besonders viele Aktivitäten, schließlich feiert der Internationale Frauentag sein 100-jähriges Jubiläum. Dabei ist der eigentliche Geburtstag nicht der 8., sondern der 19. März: An diesem Datum wurde der Frauentag im Jahr 1911 erstmals gemeinsam in verschiedenen europäischen Ländern sowie in den USA begangen. Mehr als eine Million Frauen gingen damals auf die Straße, in der österreichischen Bundeshauptstadt zogen rund 20.000 Demonstrantinnen über den Wiener Ring. Um die Entstehungsgeschichte des Internationalen Frauentags ranken sich unterschiedliche Mythen und Legenden – eines steht aber fest: Der feministische Aktionstag geht auf die Kämpfe der proletarischen Bewegung in Nordamerika und Europa seit dem 19. Jahrhundert zurück. Es waren ursprünglich Arbeiterinnen in Textilfabriken, die für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen protestierten und in den Streik traten. Später einte die politische Forderung nach dem aktiven und passiven Wahlrecht konservative und linke Frauen. Erst in den 1970ern wurde der 8. März von den Vereinten Nationen zum „Weltfrauentag“ ausgerufen. Heute ist viel von „Chancengleichheit“ und „Gleichstellung“, von gleichem Lohn für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit, von der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“, von eigenständiger Existenzsicherung die Rede. Dabei ist die Forderung nach dem „Frauenwahlrecht“ – als Instrument politischer Mitbestimmung – alles andere als ein alter Hut. Denn: Nicht jede Frau in diesem Land darf wählen oder gewählt werden. Es würde mich also nicht stören, gäbe es zum Thema Wahlrecht für Migrantinnen ebenso zahlreiche „Sonderprogramme“ und „Special Events“ – auch am 8. März.

Vina Yun ist Redakteurin beim feministischen Monatsmagazin an.schläge sowie bei migrazine.at, dem „Online-Magazin von Migrantinnen für alle“.

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