Luftzug

Was treibt Anna Weidenholzer ins Bestattungsinstitut?

Ich habe mir ein Bestattungsinstitut anders vorgestellt. Dunkler, mit Särgen, wo auch immer die hätten stehen sollen. Es gibt Särge und Truhen, sagt der Bestatter, als wir den Katalog durchblättern, die Truhen sind gerade, die Särge schräg geschnitten, das ist der einzige Unterschied. Am Bestattungsinstitut brennt keine Kerze, ein Zimmerbrunnen plätschert, die Tischplatten sind rot, auf unserer sind Fingerabdrücke der Menschen, die vor uns hier waren. Das Bestattungsinstitut ist wie ein Amt, nur dass in der Vitrine rechts hinten zwei Urnen stehen. Das Bestattungsinstitut ist ein Ort der Entscheidungen. Es ist schön, einen Trauerspruch voranzustellen, sagt der Bestatter, und legt eine Mappe mit sechzig Trauersprüchen auf den Tisch. Bei der Trauerfamilie links neben uns sehe ich, welche Mappe als nächste kommt. Die Trauerfamilie links neben uns nickt, als die Bestatterin Time to say goodbye abspielt, schlechter Computerboxensound. Ich höre andere Wörter dieser Tage: Einsargen, Trauerfamilie, Totenwächter. Ich höre vier Mal in einer Stunde den Namen Otto von Habsburg. Mein Großvater und ich haben nicht über Otto Habsburg gesprochen, nur über den Namen Otto, den man in der Volksschule lernt wie den Namen Anna, nur dass man Menschen mit dem Namen Anna öfter kennenlernt als Menschen mit dem

Namen Otto. Otto Habsburg ist neunzehn Tage tot und sechs Tage beerdigt, als wir in Linz im Bestattungsinstitut sitzen und Entscheidungen treff en. Vier Mal in dieser Stunde kommen Menschen zur Tür herein, bleiben in der Ecke links hinter uns stehen. Man kann sie an ihren Blicken von den Trauerfamilien unterscheiden. Sie fragen nach Otto Habsburgs Parte, sechs Tage, nachdem sein Körper durch Wien getragen wurde. Ich habe Angst gehabt, als ich diese vielen Menschen in Uniform gesehen habe, hat eine Schweizer Freundin am Abend danach gesagt. Eine Frau in gelbem Kostüm fragt, könnte ich noch ein paar mehr haben, als sie in dem Linzer Bestattungsinstitut Otto Habsburgs Parte in der Hand hält. Dann lächelt sie und geht zur Tür hinaus. Otto Habsburgs Herz wurde einen Tag nach der Bestattung seines restlichen Körpers in Ungarn beigesetzt. Mein Großvater hatte ein großes Herz. Ein stolzes Alter, sagt der Bestatter zum Pfarrer am Telefon. Andere Sätze, die ich dieser Tage höre, die mir lieber sind: Es tut mir leid, oder: Er hätte noch ein wenig bleiben können.

 

Anna Weidenholzer ist Autorin, lebt und arbeitet in Wien und Linz.

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