Reality Check

«Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft», gelesen von Christian Diabl. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit.

Nach dem Wahlsieg von Donald Trump wundert man sich in Deutschland wieder einmal über die Amis, die scheinbar völlig den Verstand verloren haben und einen offen rassistischen Kandidaten zum Präsidenten gewählt haben. Viele sehen ihr USA-Bild einer durch und durch rassistischen Gesellschaft einmal mehr bestätigt. Auch wenn das nicht ganz falsch ist, gibt es keinen Grund für Überheblichkeit, denn auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft ist von Rassismen geprägt und schließt rassifizierte Gruppen, wie Schwarze, Roma und Muslime, mit steigender Tendenz als „undeutsch“ aus, wie Fatima El-Tayeb auf 232 Seite eindrucksvoll nachweist. Der Unterschied zu den USA ist, dass sich viele Deutsche dessen nicht bewusst sind, weil es zu ihrem Selbstverständnis gehört, antirassistisch zu sein, sieht man vom singulären Ereignis des Holocausts einmal ab. Dieses Defizit führt die Autorin auf eine einseitige Geschichtsschreibung zurück, die nach dem Ende der Teilung Europas „postfaschistische und postsozialistische Narrative zu einer westlich-kapitalistischen Erfolgsgeschichte“ verbunden und die Jahrhunderte des Kolonialismus weitgehend ausgeblendet hat. Das ist btw. kein deutsches Problem, sondern geht auch Österreich etwas an. Zum einen wurden die rassistischen Stereotype der Kolonialzeit auch im alten Österreich rezipiert, zum anderen war auch die Habsburger-Monarchie ein – wenn auch weitgehend erfolgloser – kolonialer Player. Das mangelnde Bewusstsein und der fehlende antirassistische Diskurs führen nicht nur zu Ressentiments und Gewalt in Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise, sie hindern Deutschland auch daran, sich der Realität einer postmigrantischen Gesellschaft zu stellen und wichtige Zukunftsfragen zu diskutieren. Wie definiert man „deutsch“, wenn die alten Bilder ganz offensichtlich nicht mehr zutreffen? Was bedeutet das für das eigene Selbstverständnis? Und wie wirkt sich diese neue Realität auf die ökonomischen und politischen Machtverhältnisse aus? All diesen Fragen müssen wir uns auch in Österreich stellen, denn eine Rückkehr in die Zeit vermeintlicher Homogenität ist weder möglich noch erstrebenswert.

Fatima El-Tayebs forscht an der University of California über Rassismus in Europa, Queen Theory, Populärkultur und Widerstand. Mit „Undeutsch“ legt sie eine Art Fortsetzung ihrer Studie „Anders Europäisch. Rassismus, Identität und Widerstand im vereinten Europa“ vor und zeichnet eindrucksvoll den destruktiven Kreislauf von Ausgrenzung und Verleugnung am Beispiel der deutschen Geschichte nach. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit.

Fatima El-Tayeb, Undeutsch. Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft, transcript 2016, 978-3-8376-3074-9.

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