Nichts ist wie es einmal war

Die KUPF beteiligt sich an einer Diskussionsreihe zum Thema „Sicherheit und Kontrolle“.

 

von Andi Wahl

Die beiden Türme des World-Trade-Centers in New York standen noch, aber es loderten bereits Flammen aus den oberen Stockwerken und Fernsehkommentatoren rund um den Erdball stammelten verschreckte und verwirrende Sätze. Bereits in diesem Moment war klar, der 11. September 2001 ist ein historisches Datum.

Mittlerweile wurde in den USA bereits der Begriff des „defining moment“ – eines Augenblicks in dem individuelles Leben und Weltgeschehen zusammenfallen – geprägt. „Wo warst du, als Kennedy ermordet wurde?“ war bisher die Frage an die Generation, die den 23. November 1963 bewusst miterlebt hatte. Und beinahe jedeR AmerikanerIn weiß darauf eine Antwort. „Wo warst du, als das World-Trade-Center zusammenstürzte?“ ist nun die Frage, und die Menschen in den USA werden nicht müde, die banalsten Geschichten zu erzählen.

Auch medial wird dieses Datum als Epochenbruch inszeniert. „Nichts ist mehr wie es früher war“ wird allerorts behauptet, und selbst die lächerlichsten Provinzpolitiker, wie etwa der österreichische Innenminister Ernst Strasser, versuchen sich am Feuer der von den Medien entfachten Aufgeregtheit ihr Süppchen zu kochen. Schon einen Tag nach den Attentaten, warf er sich in staatsmännische Pose und verkündete, dass künftig Sicherheit ganz neu zu definieren sei, und Österreich sich am Krieg gegen den Terrorismus zu beteiligen hätte. In Österreich ist aber dennoch nicht „nichts mehr wie es war“, sondern die vorherige Situation hat sich nur erheblich verschärft. Ob Ausländergesetzgebung oder Ausbau des Überwachungsstaates, unter Innenminister Strasser werden nun Konzepte verwirklicht, die bisher nicht konsensfähig waren.

Diese für viele verwirrende Situation, und vor allem die um sich greifende Kriegsrhetorik in den Massenmedien, haben die KUPF veranlasst, gemeinsam mit der Migrantinnenorganisation MAIZ und der Netzzeitung prairie.at eine dreiteilige Veranstaltungsreihe abzuhalten. Geladen wurden ExpertInnen, die aus ihrer jeweiligen Perspektive die unterschiedlichsten Aspekte der aufgeworfenen Frage beleuchteten.

„Scheinheilige Krieger – fundamentalistisch sind immer nur die anderen“ hieß der erste dieser Vorträge. Stefan Broniowski, Philosoph, der auch Theologie studierte, ging an diesem Abend der Frage nach unterschiedlichen Fundamentalismus-Konstruktionen nach. Erstaunliches gab es da zu hören. Etwa, dass es gar nicht so sehr arme Weltgegenden sind, in denen Fundamentalismen aller Art auf fruchtbaren Boden fallen, sondern es zur Entwicklung von Fundamentalismus eines gewissen Wohlstands bedarf. Auch sind es nicht unbedingt technisch unterentwickelte Gesellschaften, die sich durch eine hohe Zahl an FundamentalistInnen auszeichnen, vielmehr ist das naturwissenschaftliche Denken mit seinen absoluten Wahrheiten eine Grundlage für eine fundamentalistische Weltsicht. „Es ist doch auffällig“, so Broniowski im Wortlaut „dass in diesem Konflikt der islamische Fundamentalismus als Feind identifiziert wird, während zur selben Zeit in den USA die christlichen Fundamentalisten großen Einfluss auf das öffentliche Leben nehmen. In „God’s Own Country“ steht auf jedem Geldschein „In God We Trust“ und das Staatsoberhaupt pflegt seine Ansprachen mit den Worten „God bless America“ zu beenden“.

Der wesentliche Wert von Broniowskis Vortrag lag aber nicht so sehr in der amüsant vorgetragenen und klug nachgewiesenen Kritik am Einfluss des christlichen Fundamentalismus, sondern vor allem in den Einblicken, die er dem Publikum allgemein in die Feindbild-Konstruktionen bot. Dass Fundamentalismus immer beim jeweiligen Feind entdeckt und angeprangert wird, während der eigene Fundamentalismus als normal empfunden wird.

Dass sich fundamentalistische Strömungen oftmals die Quellen erst schaffen müssen, auf die sie sich später als „reine Wahrheit“ berufen, war ebenfalls eine für viele erstaunliche Erkenntnis dieses Abends. Nachzulesen ist dieser interessante Vortrag in der prairie.

Der Mitherausgeber dieser Netzzeitung, Günther Hopfgartner, bestritt den zweiten Abend der Veranstaltungsreihe. Unter dem Titel „Von Genua nach New York“ versuchte er die Ursachen für die Terrorakte des 11. September darzulegen und deren Bedeutung für die Protestbewegung gegen neoliberale Globalisierung zu ergründen. Dabei räumte er gleich mit der, zwar gut gemeinten, aber wohl etwas zu vereinfachenden Meinung, diese Terrorakte seien die „Rache der Unterdrückten“, der Gegenschlag des Südens, auf. „Diese Anschläge“, so Hopfgartner, „sind sicherlich nicht das Werk von Halbverhungerten, sondern die Tat von Eliten“.

Eliten (vielleicht arabische), die offensichtlich nicht zufrieden sind mit der gegenwärtigen Machtaufteilung. So betrachtet können diese Gewaltakte auch als Teil einer imperialistischen Auseinandersetzung, eines Verteilungskampfes, gesehen werden. Teil einer „weltweiten Intifada“, wie das viele, vor allem arabische Kommentatoren sehen wollen, sind sie, so Hopfgartner, sicherlich nicht.

Im weiteren thematisierte Hopfgartner den schwelenden Streit zwischen dem amerikanischen und dem sich immer aggressiver gebenden europäischen Imperialismus. Nach diesen Ausführungen kam Hopfgartner noch auf die Perspektiven der „Anti-Globalisierungsbewegung“ zu sprechen. Diese, so seine Überzeugung, müsse sich um den Anti-Kriegs-Aspekt erweitern. Dann könne sie ihrer Rolle „als natürlicher Feind des globalen Fundamentalismus“ weiter gerecht werden. Diese Bewegung derer, die global denken und Perspektiven abseits des neoliberalistischen Mainstreams entwickeln, hält Hopfgartner für die interessanteste gesellschaftliche politische Kraft der letzten Jahrzehnte.

Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe referierte die Volksstimme-Redakteurin Sylvia Köchl über „Sicherheitspolitische Trittbrettfahrer“ und zeigte am Beispiel Österreichs, wie im Windschatten der herrschenden Terrorismushysterie reaktionäre und fremdenfeindliche Konzepte durchgeboxt werden, die unter anderen Rahmenbedingungen keine Möglichkeit auf Verwirklichung gehabt hätten. Anhand eines von der FPÖ vorgeschlagenen „Antiterrorpaketes“ wies sie nach, dass unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung obrigkeitsstaatliche Überwachungskonzepte umgesetzt werden, die teilweise die Grenzen demokratiepolitischer Verträglichkeit weit überschreiten.

In der an den Vortrag anschließenden Diskussion wurde vom zahlreich erschienenen Publikum auch die Frage nach notwendigen Verhaltensweisen angesichts einer neuen Überwachungswelle diskutiert. Sylvia Köchl riet den Anwesenden, sich nicht dem neuen Zwang zum Wohlverhalten zu beugen und „fortgesetztes Nicht-Wohlverhalten in Massen“ zu praktizieren. Einige Beiträge aus dem Publikum thematisierten auch die bereits jetzt sichtbare Entsolidarisierung in der Gesellschaft, und belegten diese mit teilweise erschreckenden Berichten.

Die Kooperationsveranstaltungen von KUPF, MAIZ und prairie.at waren ein wertvoller Beitrag zur allgemeinen Diskussion um Weltherrschaftskonzepte, Widerstandsformen, Propagandamittel und die Abhängigkeit der Medien. Alles Themen, die auch die KUPF in ihrer laufenden Innovationstopfausschreibung zur Sprache bringt.

Andi Wahl

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