Anderswo

Luftzug – Literaturkolumne von Anna Weidenholzer.

Am Max-Winter-Platz im zweiten Wiener Gemeindebezirk sind im dritten Stock eines grauen Zinshauses zwei Vogelhäuser angebracht, sie sehen selbst gebastelt aus: ein brauner Korpus, ein grünes Dach, ein Einflugloch. Hier wohnt ein Vogelfreund, ich schaue jedes Mal hinauf, bevor ich die Tür zur Neuen Mittelschule öffne und mir der Schulgeruch entgegenschlägt, diese Mischung aus Linoleumboden und hunderten Jugendträumen. Hinauf die Treppen, meine Klasse liegt im zweiten Stock, einen Monat lang schreiben wir gemeinsam einen Schulhausroman. Vierzehn Jugendliche, ihre Eltern kommen aus Polen, Mazedonien, Serbien, R umänien und der Türkei. Pociąg, ruft eine und lacht, sie sagt: Ich mag das Wort, weil es chinesisch klingt. Pociąg bedeutet Zug, die Schülerin spricht kein Polnisch, ihre Eltern kommen aus der Türkei. Wir werfen Wörter, suchen
Figuren, erfinden Geschichten. Welche Sprache könnte ein Zombie sprechen? Weltallisch, schreibt jemand.

Was wäre, denke ich an diesem Tag, als ich durch das Stuwerviertel nach Hause gehe, wenn hier die oberösterreichische Deutschpflicht vorgeschrieben wäre? Wir sprechen Deutsch, wo wäre der vom Landesschulrat gewünschte Satz angebracht, der in diesem Kontext so angsteinflößend klingt – gleich bei der Eingangstür? Wäre in den Pausen Englisch erlaubt, wäre Italienisch, wäre Polnisch okay? Was wäre mit Weltallisch? Gäbe es einen Sprachenwart, der über die Einhaltung der deutschen Sprache wacht? Wäre er jener Mensch, über den meine Klasse gesprochen hat, dieser eine Mensch, der nach einer Impfung mutierte? Und wie wäre er zu dem geworden, der er ist? Mutanten, Zombies, Vampire. Möchten wir nicht auch Mädchen in der Geschichte, fragte ich gegen Ende der Stunde. Ja, aber auch jemand Alten, vierundzwanzig oder so.

Mit vierundzwanzig durfte ich an einer Pressereise nach Deutschland teilnehmen, eine oberösterreichische Reisegruppe, alle aus der Landespolitik oder dem Journalismus. An das Hotelzimmer habe ich keine Erinnerung, aber an die Bar, wo die Herren Abend für Abend darüber lachten, wenn die Kellnerin nachfragte, was denn bitte ein Seidel sei. Ich erinnere mich an das Gesicht der Kellnerin, das Bier hat sie trotzdem gebracht. Damals wie heute, selbst wenn man bloß nach Münster fährt, kann es nur von Vorteil sein, über den Tellerrand der eigenen Sprache zu blicken. Die Kommunikation fällt leichter, man gelangt schneller ans Bier und darüber hinaus erleichtert es den Umgang mit dem Weltall sehr.

Anna Weiden holzer ist Autorin, lebt und arbeitet in Wien und Linz.

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