Impulse aus der Provinz

30 Jahre Jazzatelier Ulrichsberg

 

von Wolfgang Wasserbauer

Die Götter müssen damals einigermaßen verrückt gewesen sein! Oder einigen wir uns zumindest darauf, es wären Mühlviertler Hexen, Gnome oder Elfen gewesen, die ihren Beitrag zur Gründung einer für die Gegend wohl mehr als verdächtig-konspirativen Vereinigung geleistet haben. Wir schreiben das Jahr 1973. Vier junge Studenten treffen sich in Ulrichsberg und rotten sich zu einem Kulturverein zusammen, der etwas später zur Eröffnung des ersten Jazzateliers hinter der Kirche führen sollte.

Alois Fischer, heute gerade mal 40 Jahre alt, war damals keiner der Vier im Jeep. Seine Liebe zur frei improvisierten Musik war im zarten Alter von 12 Jahren noch nicht wirklich ausgeprägt, nur vorveranlagt gewissermaßen. Denn bereits Ende der 70er Jahre beerbte er die mittlerweile zweck Studiums nach Wien ausgependelten Herren namens Pröll, Ruckerbauer, Berlinger und Geretschläger. Dafür war Fischer beseelt vom Gedanken, moderne Musik ins obere Mühlviertel zu bringen. Für viele, die die heutige Arbeit des Jazzatelier kennen, mag es überraschend sein, dass man in der Anfangszeit sehr wohl eine recht moderate und gemäßigte Variante afro-amerikanischer Musik präsentierte: Mainstream Jazz und Blues. Erst nach und nach entwickelte sich das Jazzatelier zu jener Stätte avancierter Musikkultur, als die sie heute weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist. Improvisierte Musik, Free Jazz und neue zeitgenössische Musik bilden die wichtigsten Eckpfeiler einer Auseinandersetzung, die vordergründig betrachtet eher in einem urbanen Umfeld erwartet wird als in der ländlichen Provinz des oberen Mühlviertels. „Aber wer weiß, wo wir ankommen – vielleicht letzten Endes eh‘ wieder genau dort, beim Blues“, meint Fischer. In diesem Statement spiegelt sich eine Haltung wieder, die für eine kontinuierliche, gute Kulturarbeit unerlässlich ist, und die ich mit „Bewegtheit“ beschreiben würde, auch als Kontrast zu den versteinerten Formen nicht nur des Mühlviertels, sondern eben ganz im Gegensatz zu so mancher zum Stillstand gekommenen Initiative. Das aktive Interesse an Auseinandersetzung mit aktuellen zeitgenössischen (vor allem) musikalischen Strömungen und die Bereitschaft sozusagen am eigenen Profil zu feilen, offen zu sein für neue Möglichkeiten, ohne dabei auf Trends reinzufallen, sich auch zurückzunehmen und eigene Positionen zu hinterfragen, zeichnen die Arbeit der beteiligten Betreiber des Jazzateliers aus.

Die wahrscheinlich wesentlichste Zäsur in der Vereinsgeschichte bildete 1989 die Eröffnung des Hauses in der Badergasse 2, das fortan als „das“ Jazzatelier Ulrichsberg firmieren sollte. War man bis dahin bestrebt, die Veranstaltungen in diversen Lokalitäten, wie verrauchten Hinterzimmern von Gasthöfen oder auch schon mal in staubigen Sägewerkshallen auszutragen, so hatte man nunmehr die für eine dauerhafte und sinnvolle Kulturarbeit eigentlich vorauszusetzende Notwendigkeit der Nutzung eines eigenen Hauses. Hier können nicht nur die Veranstaltungen in einem würdigen Rahmen stattfinden, hier ist es auch möglich, jungen Musiker/innen eine Heimat zu geben, Probemöglichkeiten zu schaffen und wünschenswerte Kontakte mit denen „draußen“ in der großen, weiten Welt herzustellen. Nur so ist es denkbar, dass auch aus einem kleinen Ort Musiker/innen zu Persönlichkeiten reifen, die schon mal zu Festivals nach Russland eingeladen werden oder zumindest kontinuierlich in renommierten österreichischen Kulturhäusern auftreten. Namen wie „trostlos“ oder „lull“ mit der Saxophonistin Tanja Feichtmair seien hier erwähnt.

Persönliche Erinnerungen des Verfassers reichen weit in die 80er Jahre zurück: etwa zu einem Solo-Konzert Roscoe Mitchells im ersten „ati“ hinter der Kirche oder an einen Auftritt der damals noch „authentischen“ DDR-Kombo „doppelmoppel“ im prall gefüllten Wirtshaus. Oder an einen sonnenbebrillten Typen, der einsam und verlassen an der Theke lehnend, merkwürdige Laute von sich gebend, seinen Teller Suppe auszuschlürfen versuchte – die „Polizei“ kam nicht, Gottseidank, so konnte Lol Coxhill wenigstens sein Konzert spielen. Alles ist möglich in Ulrichsberg. Und, nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, am möglichsten und wichtigsten war und ist immer noch die Auseinandersetzung mit neuer, f(r)ischer Musik, der Austausch eines interessierten Publikums, oder das Antreffen renommierter Kritiker und die Möglichkeit, mit Musiker/innen unkompliziert in Kontakt kommen zu können, so man das möchte.

Zum Schluss sei es mir gestattet, stellvertretend für viele, mal danke zu sagen für sehr außergewöhnliche Konzertabende, die in gleicher Art und Weise anderswo nicht stattfinden hätten können. Ein wesentliches Merkmal erfolgreicher Kulturstätten ist die Tatsache, dass Leute am Werken sind, die für ein Klima sorgen, das erst wichtige, lebhafte und fruchtbare Auseinandersetzungen ermöglicht. Leute also, die es schaffen, notwendige kreative Impulse zu geben, auch sozusagen von der Provinz aus in die Stadt hinein und nicht umgekehrt. Meine These: Wären solche Leute an den Hebeln der Macht, die Welt würde heute anders aussehen. Aber das ist erstens eine andere Geschichte, und zweitens ein Widerspruch in sich.

In diesem Sinne also: Weiterhin alles Gute dem alternativen Ulrichsbergtreffen, und not to forget: Alois Fischer for President!

Wolfgang Wasserbauer

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