Bleierne Zeiten

Noch viele Aufbrüche werden notwendig sein, um die bleiernen Zeiten zu überwinden, meint Eugenie Kain.

 

Ein denkwürdiger Ferienbeginn in einem merkwürdigen Sommer. Im Eilzug war es heiß, in der Straßenbahn voll. Ich war auf dem Weg nach Simmering zu Onkel und Tante. Die Strecke war mir vertraut, es waren nicht meine ersten Ferien in Wien. Die U4 war gerade eröffnet worden, aber die fuhr nicht in den 11. Bezirk. Dass es trotz neuer U-Bahn ziemlich verschnarcht herging in der Weltstadt, ist einer, die aus Linz kam, nicht weiter aufgefallen. 56er, Ringlinie, 71er. Beim Umsteigen auf dem Schwarzenbergplatz schenkte mir der Kronenzeitungsverkäufer eine „Krone” und ein Flugblatt mit einem Stern, das so gar nicht zum Kleinformat passte und auch nichts damit zu tun hatte, verteilte er auch. Zuvor wollte er wissen, ob ich in die Arena fahre. Sicherheitshalber nickte ich. Was weiß eine Fremde. In Simmering angekommen, hatte die Verwandtschaft das Ferienprogramm bereits festgelegt. „Und am Wochenende gehen wir in die Arena”, sagte die Tante. Das Jahr zuvor hatten sie mich auf den Donauturm mitgenommen. Also Arena. Dass es sich dabei um ein Wien-Programm der noch nicht da gewesenen Art handelte, wurde vor Ort schnell klar.

Cafe Schweinestall, Filmpalast, Frauenhaus, Rote Halle, Konzerte, Zirkus, Lesungen, Arena-Zeitung. Am 27. Juni 1976 wurde der alte Auslandsschlachthof in St. Marx von mehr als 1000 Menschen besetzt. Das 70 000 Quadratmeter große Areal mit seiner einzigartigen Industriearchitektur aus der Zeit um die Jahrhundertwende sollte erhalten bleiben und für ein selbst verwaltetes Kultur– und Jugendzentrum genützt werden. Zuvor war dort im Rahmen der Arena 76, einer abseits der so genannten Hochkultur konzipierten Programmschiene der Wiener Festwochen die Proletenpassion aufgeführt worden. 101 Tage sollte der Arena-Sommer dauern, dann kamen die Bulldozer. Was 30 Jahre danach noch nicht eliminiert oder kommerzialisiert wurde, ist gefährdet. Die freien Szenen arbeiten prekär vor sich hin, Sozialprojekte haben kaum mehr Spielraum für Empowerment, der ORF ist eine Zumutung, die Printmedien wirken gleichgeschaltet, Kultur definiert sich durch Beliebigkeit. Demokratie?. Es werden noch viele Aufbrüche notwendig sein, um die bleiernen Zeiten zu überwinden.

Eugenie Kain ist Autorin, lebt und arbeitet in Linz.

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